Papst verschärft Kirchenrecht im Kampf gegen Missbrauch
Papst Franziskus hat die Kirchenrechtsnormen im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch durch Geistliche drastisch verschärft. Ein derartiger Schritt war unter anderem von Opferverbänden, Politikern und zahlreichen Bischöfen der Weltkirche gefordert worden. Das am Donnerstag veröffentlichte kirchliche Gesetz sieht neue Verfahrensweisen für die Strafanzeige vor und führt eine weltweite Anzeigepflicht ein. Erstmals regelt es die Untersuchung gegen Bischöfe, die Ermittlungen vertuscht oder verschleppt haben. Es verpflichtet die kirchlichen Stellen, die staatlichen Strafermittler in ihrer Arbeit zu unterstützen. Zudem müssen alle Diözesen bis spätestens Juni 2020 ein leicht zugängliches Meldesystem für Anzeigen einrichten.
Es handelt sich um universell gültige Rechtsvorschriften, die in der gesamten katholischen Kirche Anwendung finden. Zu den wichtigsten Neuerungen gehört ein Verfahren, mögliche Unterlassungen von Verantwortlichen aufzuspüren. Für entsprechende Voruntersuchungen gegen Bischöfe erhalten die Metropolitan-Erzbischöfe eine besondere Rolle. In Österreich sind dies der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn und der Salzburger Erzbischof Franz Lackner. Um Verfahren zu beschleunigen, muss der Vatikan binnen 30 Tagen über den Stand der Voruntersuchungen informiert werden.
Zudem werden alle Kleriker und Angehörigen von Ordensgemeinschaften auch rechtlich verpflichtet, Informationen über möglichen Missbrauch oder eventuelle Unterlassungen beim Kirchenoberen zu melden. Dies gilt künftig nicht mehr nur im Fall minderjähriger und schutzbefohlener Opfer, sondern auch, wenn Ordensfrauen sowie abhängige volljährige Seminaristen oder Ordensnovizen betroffen sind sowie im Fall von Kinderpornografie.
Unberührt bleiben eine Meldepflicht aufgrund staatlicher Gesetze und bestehende Kooperationen zwischen Kirche und Behörden. Bisher geltende kirchliche Strafen werden nicht verschärft. Das Beichtgeheimnis bleibt von den neuen Normen unberührt, aber das bisher für Missbrauchsverfahren generell geltende "päpstliche Geheimnis" wird in einem zentralen Punkt aufgehoben. In dem neuen Gesetz heißt es dazu:
Wer eine Meldung erstattet, dem kann kein Schweigegebot hinsichtlich des Inhalts auferlegt werden.
Die neuen Normen, die Papst Franziskus erlässt, werden vom Vatikan als weiteres Ergebnis des Anti-Missbrauchgipfels Ende Februar im Vatikan vorgestellt. Das sogenannte Motu Proprio trägt den Titel "Vos estis lux mundi" (Ihr seid das Licht der Welt). Die neuen Normen gelten zunächst für drei Jahre und treten am 1. Juni in Kraft.
Betreuung der Opfer
"Vos estis lux mundi" legt außerdem fest, dass die Opfer zusammen mit ihren Familien mit Würde und Respekt behandelt werden und dass ihnen ein angemessene medizinische, therapeutische und psychologische Betreuung zuteil werden soll.
Die neuen Vorschriften hinsichtlich des einzuführenden Meldesystem führen allerdings nicht weiter aus, worin diese "Systeme" bestehen, um so den einzelnen Diözesen die Auswahl wirksamer Methoden zu überlassen, die sich aufgrund verschiedener Kulturen und örtlicher Gegebenheiten unterscheiden können. Missbrauchsopfer bzw. Anzeigende müssten jedenfalls sicher sein können, dass ihre Anzeigen mit höchster Seriosität behandelt werden, heißt es.
Die durchgängige Meldepflicht gilt nur für Kleriker und Ordensleute, die Laien werden aber ermutigt, sich auch dieses Systems zu bedienen, um Missbrauchs- und Belästigungsfälle der zuständigen kirchlichen Behörde zu melden.
Kampf gegen "Unterlassungen"
Ein Schwerpunkt des Dokuments liegt auf auf dem Kampf gegen "Unterlassungen". Es geht dabei um jene, die innerhalb der Kirche Positionen innehaben, die besondere Verantwortung mit sich bringt und die, statt von anderen begangene Missbrauchsfälle zu verfolgen, diese verheimlicht und dabei den mutmaßlichen Täter beschützt haben, statt die Opfer zu schützen.
Ausdrücklich wird weiters festgehalten, dass die Meldepflicht beim Ortsbischof bzw. beim Ordensoberen in keiner Weise mit anderweitigen staatlichen Meldepflichten kollidieren. Die kirchlichen Normen würden angewandt, "ohne die jeweils von den staatlichen Gesetzen festgelegten Rechte und Pflichten zu beeinträchtigen, insbesondere diejenigen in Bezug auf allfällige Meldepflichten an die zuständigen zivilen Behörden".
Schutz für Anzeigende und Opfer
Bedeutsam sind auch jene Paragraphen, die dem Schutz derer gewidmet sind, die sich melden, um Anzeige zu erstatten. Diejenigen, die Informationen über Missbrauchsfälle beibringen, dürfen dem Motu proprio zufolge infolge ihrer Anzeige nicht zu Opfern von "Beeinträchtigungen, Vergeltung oder Diskriminierungen" werden.
Ermittlungen gegen Bischöfe
Das Motu proprio regelt relativ detailiert die Ermittlungen gegen Bischöfe, Kardinäle, Ordensobere und all jene, die in irgendeiner Weise und auch nur vorübergehend die Leitung einer Diözese oder einer anderen Teilkirche innehaben. Die entsprechenden Vorschriften sind nicht nur dann einzuhalten, wenn gegen diese Personen wegen direkt von ihnen verübtem sexuellem Missbrauch ermittelt wird, sondern auch dann, wenn ihnen vorgeworfen wird, Missbrauchsfälle, von denen sie erfahren haben und gegen die sie hätten vorgehen sollen, "gedeckt" zu haben oder nicht gegen sie vorgegangen zu sein.
Bedeutsam ist die Neuerung, die die Beteiligung des jeweiligen Metropoliten in die Voruntersuchung betrifft. Der Metropolit erhält vom Heiligen Stuhl den Auftrag, zu ermitteln, sofern es sich bei der angezeigten Person um einen Bischof handelt. Wer mit der Ermittlung beauftragt ist, übermittelt dem Heiligen Stuhl nach 30 Tagen einen "Bericht über den Stand der Ermittlungen", die "innerhalb von 90 Tagen abgeschlossen sein müssen". Damit werden garantierte Verfahrenszeiten vorgeschrieben, und zum ersten Mal wird verlangt, dass die betroffenen vatikanischen Behörden (Dikasterien) zügig vorgehen. Verlängerungen "aus gerechtfertigten Gründen" sind möglich. Betreffen die Anschuldigungen den Metropoliten oder ist der Metropolitansitz vakant, dann ist der dienstälteste Suffraganbischof zuständig.
Die Regeln des Motu proprio sehen auch vor, dass sich der Metropolit bei der Durchführung der Ermittlungen der Hilfe "qualifizierter Personen" bedienen kann. Bischofskonferenzen und Diözesen können Listen qualifizierter Personen erstellen, die zur Mitarbeit bereit sind. Die letzte Verantwortung für die Ermittlungen bleibt freilich dem Metropoliten anvertraut.
Unschuldsvermutung und Abschluss der Ermittlungen
Betont wird in dem Dokument auch das Prinzip der Unschuldsvermutung der Person, gegen die ermittelt wird und die dann über die Ermittlung informiert wird, wenn dies seitens des zuständigen Dikasteriums verlangt wird. Tatsächlich muss die Beschuldigung obligatorisch erst im Augenblick der Eröffnung eines formellen Verfahrens notifiziert werden, dies kann in der Phase der Voruntersuchung noch unterlassen werden, sofern dies für ratsam erscheint, um die Integrität der Untersuchung bzw. der Beweise sicherzustellen.
Das Motu proprio nimmt keine Veränderungen im Hinblick auf die vorgesehene Strafe für die Delikte vor, sondern es schreibt das Verfahren für die Anzeige und den Ablauf der Voruntersuchung vor. Nach Abschluss der Ermittlungen übermittelt der Metropolit die Ergebnisse an das zuständige vatikanische Dikasterium und bringt damit seine Aufgabe zu Ende. Das zuständige Dikasterium verfährt dann "nach Maßgabe des Rechts entsprechend dem, was für den spezifischen Fall vorgesehen ist", es handelt also auf der Grundlage bereits existierender kanonischer Rechtsvorschriften.
Auf der Grundlage der Ergebnisse der Voruntersuchung kann der Heilige Stuhl freilich unverzüglich vorbeugende und restriktive Maßnahmen gegen die Person beschließen, gegen die ermittelt wird.
Quelle: kathpress