Zum Volksbegehren "Ethik für Alle"
"Religionsunterricht vs. Ethikunterricht. Was soll das bringen?"
Zum Volksbegehren "Ethik für Alle"
"Religionsunterricht vs. Ethikunterricht. Was soll das bringen?"
Erster kritischer Gegenwind für das geplante Volksbegehren "Ethik für Alle": Mit einer prononcierten Kritik an der Initiative haben sich die Dekane der Katholisch-Theologischen Fakultäten Salzburg und Wien, Prof. Alois Halbmayr und Prof. Johann Pock zu Wort gemeldet. Das Volksbegehren enthalte zwar durchaus unterstützenswerte Forderungen wie etwa jene nach einer professionellen Ausbildung für das Ethik-Lehrpersonal - es zeuge jedoch insgesamt von einem überholten und von der schulischen Realität nicht gedeckten Religions- und Religionsunterrichtsverständnis und schüre "Ressentiments" gegenüber Religion insgesamt, so Halbmayr und Pock gegenüber "Kathpress". Im Folgenden dokumentiert Katholisch.at das Interview mit Prof. Halbmayr im Wortlaut:
Herr Prof. Halbmayr, Anfang des Monats wurde die Initiative "Ethik für alle" präsentiert, die nun Unterschriften für ein Volksbegehren sammelt. Gefordert wird unter dem Titel "Ethik für alle" u.a. ein vom Religionsunterricht entkoppeltes Fach Ethik als Pflichtfach, ein vollwertiges Lehramtsstudium Ethik und eine Unvereinbarkeitsregelung für Religionslehrer, die an der gleichen Schule auch Ethik unterrichten sollen. Welche Positionen lehnen Sie dezidiert ab - und welchen können Sie etwas abgewinnen?
Die Initiative vertritt manche Positionen, denen man zustimmen kann: etwa die Forderung nach einer qualitativ hochwertigen Ausbildung der Ethik-Lehrerinnen und -lehrer, oder die Entwicklung klarer Standards, um eine hohe Qualität des Ethikunterrichts zu gewährleisten. Ich gehe jedoch davon aus, dass sich das Bildungsministerium ohnehin darum bemüht. Es werden bei dem Volksbegehren aber leider auch Ressentiments bedient; und es liegen der Initiative offenbar Vorstellungen von Religion und Religionsunterricht zugrunde, denen man deutlich widersprechen muss.
Wo spießt es sich im Einzelnen? Wo widersprechen Sie?
Nehmen Sie etwa das Grundanliegen her: Gewiss, es braucht angesichts komplexer gesellschaftlicher wie politischer Herausforderungen Orientierung und Wertebewusstsein. Selbstverständlich! Aber genau das leistet auch der Religionsunterricht - und zwar schon lange und auf hohem Niveau. Dennoch wird dem Religionsunterricht von den Initiatoren permanent anderes unterstellt. Der vorliegende Text der Initiative basiert auf einem Verständnis von Religion und Religionsunterricht, das in keiner Weise den aktuellen Stand der Diskussion und der Ausbildung widerspiegelt. So wie der Religionsunterricht dargestellt wird - dass er inhomogene, teils nicht konsensfähige Werte vermittle, dass er diskriminierend wirke, dass er zur Ausgrenzung und Separierung beitrage - das ist doch bodenloser Unsinn. Wo sind dafür die Belege? Solche Behauptungen verstärken nur die Vorurteile letztlich gegenüber den Religionsgemeinschaften insgesamt. Diese Vorurteile kommen in der Regel von außen, aber mit der schulischen Realität haben sie nicht viel zu tun. Darüber hinaus wird hier eine Frontstellung eröffnet, wo keine sein muss: Religionsunterricht gegen Ethikunterricht. Was soll das bringen?
Damit es überhaupt zu einem Volksbegehren kommt, müssen die Initiatoren nun zumindest 8.401 Unterstützungserklärungen erhalten. Unter den Initiatoren ist auch Eytan Reif von der "Initiative Religion ist Privatsache". Da könnte man ja den Verdacht haben, es ginge weniger um eine Aufwertung des Ethikunterrichts als vielmehr um ein - zumindest langfristiges - Ende des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen...
Dieser Verdacht liegt nahe. Wenn die Initiatoren ein säkularistisches Modell in Österreich haben wollen, dann mögen sie es bitte deutlich sagen. Bisher ist Österreich, so wie die meisten Staaten in Europa, gut mit dem Kooperationsmodell - besser: mit dem Modell einer "respektvollen Nichtidentifizierung" (H. Bielefeldt) von Staat und Religionsgemeinschaften - gefahren. Es ist ein Modell der Wahlfreiheit und hat gegenüber den laizistischen Modellen große Vorteile.
Inhaltlich operiert das Volksbegehren ja mit dem Vorwurf, Ethik und Religionsunterricht würden sich diametral entgegenstehen - als gäbe es eine "reine" Ethik und als sei eine Ethik-Reflexion innerhalb etwa eines theologischen Settings nur ein Surrogat einer vermeintlich weltanschaulich neutralen Ethik...
Ja, die Initiatoren tun so, als gäbe es eine reine, objektive, weltanschaulich ungebundene Ethik. Was soll das sein? Ethik ist immer an Voraussetzungen, an reflexiven Vorannahmen, Erfahrungen, Wertvorstellungen, Überzeugungen etc. gebunden. Sie als solche auszuweisen und kritisch zu reflektieren, das ist es, worum es in der Ethik gehen kann, aber doch nicht um eine vermeintlich objektive, freie und autonome Ethik, hinter der sich dann doch problematische ideologische Versatzstücke und Voraussetzungen verbergen. Eine vermeintlich rein säkulare Ethik hat doch auch ihre Voraussetzungen und Vorannahmen, muss man die nicht reflektieren? Woher nehmen die Proponenten das Selbstbewusstsein, ihre eigene weltanschauliche Einseitigkeit nicht im Geringsten zu reflektieren? Der frühere Grüne Bildungssprecher Harald Walser vertritt eine politische Partei, Peter Kampits tritt ausgehend von einem ideologisch überhöhten Autonomiebegriff für die Freigabe aktiver Sterbehilfe ein. Sollen demnach nur atheistisch oder agnostisch orientierte Lehrer mit ethischen Positionen, die denen von Prof. Kampits oder bestimmten politischen Parteien entsprechen unterrichten dürfen?
Um es nochmal auf den Punkt zu bringen: Warum wird eine potentielle "weltanschauliche Beeinflussung" nur durch Religionslehrer und im Religionsunterricht befürchtet - nicht jedoch analoge Gefahren durch Mitglieder politischer Parteien oder von politischen Gruppierungen am rechten oder linken Rand der Gesellschaft gesehen? Würde die Gefahr weltanschaulicher Beeinflussung etwa auch zu befürchten sein, wenn ein Gewerkschafter Geschichte und Sozialkunde unterrichtet? Was ist mit dem vegan lebenden Lehrer, der Biologie unterrichtet? Dürfen Ethiklehrer Jäger sein...?
Die dritte Forderung des Volksbegehrens zielt auf "Unvereinbarkeitsregeln" ab - also darauf, dass ein Religionslehrer nicht an der gleichen Schule auch Ethik unterrichten sollte. Halten Sie diese Forderung für gerechtfertigt?
Bei dieser Forderung wird es ganz heikel, da sie in Diskriminierung mündet. Die Logik, wenn ich sie recht verstehe, geht doch so: Religionslehrer dürfen nicht an der gleichen Schule Ethik unterrichten, nicht nur, weil sie von ihren Glaubensüberzeugungen nicht absehen können, sondern auch, wie in der Anmerkung 19 des Textes erwähnt wird, damit verhindert werden soll, "dass SchülerInnen, die sich von Religionsunterricht abgemeldet haben, mit dem/der selben ReligionslehrerIn in einem Pflichtfach konfrontiert werden". Du meine Güte... Es ist also so: Ich darf religiös sein, gewiss auch starke religiöse Überzeugungen haben - und Ethik unterrichten, wenn ich diese Ausbildung absolviert habe. Habe ich aber auf gleicher Basis auch Theologie studiert, mich also viele Jahre und intensiv wissenschaftlich mit meinem Glauben beschäftigt, so darf ich dann nicht mehr an der gleichen Schule Ethik unterrichten?! Das ist doch eine hanebüchene Argumentation. Warum soll ein Religionslehrer nicht von seinen religiösen Überzeugungen Abstand nehmen können? Darüber hinaus: Ich kenne viele Religionslehrerinnen und Religionslehrer, die auch Ethik unterrichten. Noch nie habe ich von ihnen gehört, dass Schüler ein Problem damit hätten, dass sie auch Religionslehrer seien.
Neben der "Initiative Religion ist Privatsache" fällt ein weiterer Name auf der Unterstützerliste auf: Prof. Anton Bucher - langjährig mit dem Schulversuch Ethik befasst und ausgerechnet einer Ihrer Kollegen an der Salzburger Katholisch-Theologischen Fakultät...
Halbmayr: Ich kann nicht nachvollziehen, warum Kollege Bucher dieses Volksbegehren unterstützt. Ich halte seine Unterstützung in dieser Sache für falsch und kontraproduktiv. Buchers Position ist jedoch eine Einzelmeinung und sie widerspiegelt in keiner Weise die Perspektive der Theologischen Fakultät in Salzburg, auch nicht der anderen Theologischen Fakultäten und Hochschulen, und natürlich ebenso wenig der dort lehrenden Religionspädagoginnen und -pädagogen. Selbstverständlich kann Kollege Bucher diese Position vertreten, aber genauso selbstverständlich kann man sagen, dass man sie für falsch und kontraproduktiv hält - noch dazu, weil er sich selbst intern anders positioniert hat als in der Öffentlichkeit.
Das von der Regierung nun beschlossene Modell sieht eine Einführung eines Ethikunterrichts als alternatives Pflichtfach zunächst für die Oberstufe vor. Ein Modell, dem Sie vorbehaltlos zustimmen können?
Prinzipiell halte ich dieses Modell für einen Schritt in die richtige Richtung. Es fängt jene Schülerinnen und Schüler auf, die bislang bei Abmeldung vom Religionsunterricht einfach eine Freistunde hatten. Zugleich zeigt sich aber an der Stelle meines Erachtens auch ein Problem bzw. einen Ansatzpunkt zur Weiterentwicklung: Denn im derzeitigen Modell wird der Ethikunterricht nicht "auf Augenhöhe" zum Religionsunterricht eingeführt: Es gibt kein Opt-In für Schüler, die frei wählen zwischen Ethik- oder Religionsunterricht, sondern ein Opt-Out, also eine Vorrangigkeit des Religionsunterrichts. Das halte ich auf Dauer für problematisch. Natürlich wird man auch den Ethikunterricht regelmäßig evaluieren und weiter entwickeln müssen.
Quelle: Kathpress