Vor 74 Jahren brannte mit dem Stephansdom das Herz von Wien
Was vor 74 Jahren im Herzen Wiens passierte, trieb vielen entsetzten Bewohnern die Tränen in die Augen und fügte dem Unheil des mehr als fünfjährigen Weltkriegsfurors in Wien einen weiteren, letzten Höhepunkt hinzu: Am 12. April 1945 stürzte die Pummerin, die größte Glocke des Stephansdoms, als Folge eines Dachbrandes in die Turmhalle herab und zerbrach; tags darauf durchschlug eine einbrechende Stützmauer das Gewölbe des südlichen Seitenchors, das in den Dom eindringende Feuer zerstörte Chorgestühl und Chororgel, Kaiseroratorium und Lettnerkreuz. Der Stephansdom bot ein erbarmenswürdiges Bild sinnloser Zerstörung, und das fast am Ende jener Schreckenszeit, in der die Wiener nach jedem Bombenangriff bang fragten: "Steht der Steffl noch?"
Als steinerner Zeuge des Unvergänglichen hatte der Dom durch über 800 Jahre hinweg allen Widrigkeiten getrotzt, hatte Feuersbrünste, Türkenbelagerungen und Franzosenkriege überstanden. Doch in den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges blieb auch St. Stephan nicht mehr verschont vor der Vernichtung. Der spätere legendäre Hochschulseelsorger und Zeitzeuge Karl Strobl beobachtete damals "eine alte Wienerin, die über den brennenden Dom weinte". Er erinnerte sich bei diesem Anblick an die am Karfreitag gesungenen Klagelieder des Propheten Jeremia, in denen die Rede ist von der "einsam sitzenden Stadt", wie eine Witwe "klagend weint sie in der Nacht ... keiner ist, der sie tröstet".
Und doch - zu den fassungslosen Betrachtern der Zerstörung gesellte sich laut Presseberichten ein Mann in ausgebeulten Hosen und mit abgeschabtem Hut, der so nebenbei bemerkte: "Na, wir werden ihn (den Dom) halt wieder aufbauen müssen." Es handelte sich um Kardinal Theodor Innitzer. Nur wenige Wochen danach, am 15. Mai 1945, ließ der Wiener Erzbischof an die Gläubigen seiner Diözese verlautbaren:
Unsere Kathedrale, den Stephansdom, wieder in seiner ursprünglichen Schönheit erstehen zu helfen, ist eine Herzenssache aller Katholiken, eine Ehrenpflicht aller!
Innitzers Appell sollte sich in den folgenden sieben Jahren als eine Tatsachenfeststellung erweisen.
Chronologie der Ereignisse
Doch der Reihe nach, zurück zur Chronologie der Ereignisse in der letzten Kriegsphase in Wien, die die langjährige Diözesanarchivarin Annemarie Fenzl für eine Ausstellung im Jahr 1995 penibel rekonstruierte: Ab März mehrten sich die Bombenangriffe der Alliierten auf Wien. Einer davon - ein US-Angriff am 12. März - sollte für die Brandkatastrophe einen Monat später fatale Folgen haben, wurden dabei doch die beiden großen Wasserleitungen des kaum in Mitleidenschaft gezogenen Doms zerstört.
Zum wichtigsten Zeugen der Geschehnisse vom 11. bis 13. April wurde Domkurat Lothar Kodeischka (1905-1994), der als Sakristeidirektor von St. Stephan in diesen Tagen praktisch durchgehend vor Ort war. Viele Wiener - auch Geistliche - hatten vor den Bombardements Schutz in den weitverzweigten Kellern der Wiener Innenstadtkirchen und -klöster gesucht, Kodeischka verblieb teilweise als einziger Verteidiger und Brandherdlöscher im Dom, notfalls bis zum Tod, wie er später in seinen Erinnerungen schilderte.
Als am 11. April 1945 Waffen-SS und Rote Armee einander am Donaukanal gegenüberstanden, war laut Kodeischka die Nachricht aufgetaucht, SS-Einheiten würden einen Gegenstoß über die Augartenbrücke unternehmen. Teile der sowjetischen Artillerie wurden daraufhin vom Stephansplatz abgezogen. Für einige Stunden sei der zentrale Bereich der Innenstadt ohne Besatzung gewesen. Dies nützten Banden von Plünderern, die laut Kodeischka Feuer in den heimgesuchten Geschäften legten.
Brand verursachten Plünderer, nicht Soldaten
Diese Schilderung des Domkuraten deckt sich mit jenen anderer Augenzeugen; die vom späteren Wiener Judaistik-Professor Kurt Schubert vertretene Hypothese eines deutschen Artilleriebeschusses als Brandursache gilt heute als überholt. Er könne "bezeugen, dass die ganze Zeit hindurch kein einziger Granattreffer, schon gar nicht eine Brandbombe, den Dom traf - entgegen der sonst oft gehörten Ansicht, die Deutschen hätten den Dom in Brand geschossen", heißt es in dem Kodeischka-Bericht.
Starker Südwestwind löste demnach heftigen Funkenflug aus, sodass "brennende Fetzen bis hoch über den Südturm wehten", so Kodeischka. Er habe am Abend und in der Nacht von 11. auf 12. April "immer wieder neue Brandherde entdeckt und löschen können" - allein und ohne Hilfe. Um Mitternacht jedoch fing das Gerüst auf dem Nordturm Feuer. Der Glockenstuhl begann zu brennen, die zweitgrößte Glocke des Doms, die zehn Tonnen schwere "Halbpummerin" im Nordturm, fiel in das linke Querhaus. Dort wurde das Wimpassinger Kreuz, eine monumentale toskanische Arbeit des Mittelalters, ein Raub der Flammen.
Gegen 11 Uhr des 12. April brannte das Dach zwischen den beiden Domtürmen. Stück für Stück des riesigen Dachstuhls aus zehntausend Lärchenstämmen stürzte auf die Gewölbedecken. Die hielten der Last stand - noch. Aus einem der runden Deckenlöcher, das sich über der großen Orgel des Doms öffnete, fiel Glut auf das Instrument und erfasste die Tausenden von Holzteilchen in dessen Inneren. Bald stießen Flammen aus einzelnen Orgelpfeifen hoch. Augenzeugen berichten später erschüttert von leisen Klagetönen aus den Pfeifen.
Bald war der nächste dramatische Verlust zu verzeichnen: Um 14.30 Uhr sauste die Pummerin, mit 22 Tonnen die schwerste Glocke Österreichs, samt ihrem brennenden Glockenstuhl in die Tiefe und zerschellte "mit grauenhaftem Getöse" am Gewölbering der südlichen Turmhalle.
Das Dominnere schien gerettet, aber dann...
Abends war das Dach abgebrannt, auch die Heidentürme vom Feuer ergriffen; glosende Balken lagen auf den Gewölbedecken - aber das Innere des Doms schien gerettet zu sein. Abends mussten alle mittlerweile tätigen Helfer den Stephansdom verlassen, weil die Sowjets in der "Kampfzone" Stephansplatz eine Ausgangssperre verhängt hatten. In der Nacht schien es Kodeischka, dass das Feuer unter Kontrolle sei. Doch dann sei am Freitag, den 13. April, um 4.15 Uhr "völlig unerwartet die Katastrophe erfolgt": Das Gewölbe stürzte ein und bedeckte den Kirchenraum, der Domkurat und eine zu diesem Zeitpunkt anwesende Helferin entgingen nur knapp dem Tod. "Wir wurden von einer dichten, undurchdringlichen Staubwolke eingehüllt, sodass in der gähnenden Finsternis jede Orientierung unmöglich war. Ich selbst verlor einige Augenblicke das Bewusstsein", schilderte Kodeischka.
Ich weiß wieder nur, wie wir vor dem Lettnerkreuz standen und den ganzen Gräuel der Verwüstung sahen: Unter der Wucht des Einsturzes wurde die Orgelempore, die Kaiserloge und das gesamte wertvolle Chorgestühl begraben. Auch das Gewölbe des Friedrichschiffes war zum größten Teil eingebrochen. Alles brannte lichterloh, wir wussten, jeder weitere Versuch einer Hilfe war völlig aussichts- und zwecklos.
Das gotische Lettnerkreuz wurde zum Sinnbild der gewaltigsten Zerstörung in der Geschichte des Stephansdoms: Vom Triumphbogen hing es herab, nur der obere Teil des Längsbalkens und der Querbalken mit den angebrannten, herabhängenden Unterarmen des kopflosen Corpus waren noch vorhanden - "ein Bild, das jedem unvergesslich blieb, der es gesehen hat", berichtet Annemarie Fenzl. Zufällig im Schutt gefunden wurde das hölzerne Haupt noch am 13. April vom Benediktiner P. Benedikt Pfundstein, der die noch züngelnden Flammen in einem Weihwasserbecken löschte. Seit 2009 hängt das vom Künstler Josef Troyer nach einer Vorlage rekonstruierte "Lettner-Kreuz" wieder an seinem angestammten Platz, der Kopf weist bis heute Brandspuren auf.
"Wir werden den Stephansdom halt wieder aufbauen müssen"
Der Stephansdom schien nach dem verheerenden Brand vom 11. bis 13. April 1945 verloren. Doch das wollten die Wienerinnen und Wiener trotz des Nachkriegselends nicht hinnehmen. Gerade die "kleinen Leute" trugen entscheidend zum Wunder des Wiederaufbaus bei. Der Umfang der erforderlichen Bauarbeiten warf bald die Frage nach ihrer Finanzierung auf, die in den ersten vier Jahren, so unglaublich es klingt, allein durch freiwillige Spenden der Menschen Wiens, die selber nur das Notwendigste hatten, erst später dann durch den Ertrag der Dombaulotterie, einer Briefmarkenserie, sowie der bekannten Dachziegelaktion aufgebracht wurden.
Kardinal Theodor Innitzer hatte bereits angesichts des noch glosenden, mit Schutt angefüllten, in Trümmern liegenden Stephansdoms lapidar festgestellt: "Na, wir werden ihn halt wieder aufbauen müssen." In nur sieben Jahren gelang dieses Vorhaben in einem heute Staunen erweckenden nationalen Kraftakt. Der Dom sei nach der Katastrophe des Krieges zum "Nationalheiligtum" geworden, "in dem die Einheit des Landes in einer schönen Weise zum Ausdruck kommt", so der damalige Wiener Erzbischof bei der feierlichen Wiedereröffnung im April 1952.
Wie war es dazu gekommen? Bereits am 25. April 1945, zwei Tage, bevor die provisorische Staatsregierung unter Karl Renner erstmals zusammentrat und zwei Wochen vor der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht, konnte dank der Einsatzbereitschaft zahlreicher freiwilliger Helfer mit den Aufräumarbeiten begonnen werden. Der spätere Wiener Kulturstadtrat Jörg Mauthe (1924-1986) nannte diese Arbeiten später "ein Ruhmeskapitel in der Geschichte Wiens". Es habe "Mangel an allem" geherrscht, "nur nicht an Helfern". Mit primitivsten Mitteln sei in den ersten Monaten etwa viereinhalbtausend Kubikmeter Schutt aus der verwüsteten Kirche entfernt worden. Da es an Transportmitteln fehlte, wurde er an der Nordseite, am Erzbischöflichen Palais gelagert und erst viel später weggeschafft.
Angesichts der Not der ersten Nachkriegstage kam die Frage auf, ob die sofortige Aufnahme der Arbeit am Dom überhaupt zu verantworten sei. Das Ja darauf beruhte auch auf der Einsicht, dass jede Verzögerung zu weiteren irreparablen Schäden etwa durch Regen oder Sturm geführt hätte. Um das Langhaus vor den Unbilden der Witterung zu bewahren, wurde eine bald eine schützende Trennwand zwischen Querschiff und dem zerstörten Chor errichtet.
Drängendste Frage war die Finanzierung
Viele technische und auch künstlerische Fragen mussten in den Folgejahren geklärt werden. Die drängendste jedoch war die Finanzierung des Wiederaufbaues, für den rund 180 Personen jahrelang beschäftigt wurden. Vom damaligen Dombaumeister Karl Holey ist von 1948 der bitter-ironische Ausspruch überliefert, die Geldbeschaffung mache "besonders jenen große Sorgen, deren Opferbereitschaft für den Dom gering ist". Die Angst, dass die Staatskasse für die Bautätigkeit herhalten muss, könne beschwichtigt werden, setzte Holey eine Spitze gegen die damalige Kommunalpolitik:
Diese besorgten Gemüter können beruhigt werden mit der Antwort, dass bis heute nicht ein Groschen Unterstützung aus staatlichen Mitteln oder aus sonstigen Steuergeldern beigetragen wurde, sondern dass der ganze Aufwand durch freiwilligen Spenden ... aufgebracht wurde.
Die langjährige Wiener Domarchivarin Annemarie Fenzl, die Stimmen wie jene Holeys zusammengetragen hat, berichtete im "Kathpress"-Interview von Familienschmuck und sogar Eheringen, die Gläubige für die Restaurierung des Stephansdoms zur Verfügung stellten. Ob ein solcher Enthusiasmus heute noch denkbar ist, wage sie nicht zu sagen, angesichts verbreiteter "Ich-AGs" sei aber Zweifel daran berechtigt.
Am bekanntesten unter mehreren Spendeninitiativen wurde die sogenannte "Dachziegelaktion", bei der Freunde des Doms einen oder mehrere Dachziegel um fünf Schilling kaufen konnten. Auch eine Lotterie und eine Briefmarkenserie spülten dringend benötigtes Geld in den Klingelbeutel der Dombauhütte.
Alle Bundesländer leisteten Beitrag
Am 19. Dezember 1948 konnte der erste Bauabschnitt mit der Eröffnung des Langhauses beendet und kurz vor Weihnachten der erste Festgottesdienst seit der Ostermesse am 1. April 1945 im Stephansdom gefeiert. Die finanzielle Situation blieb freilich angespannt. Noch im September 1951 schien es, als ob der Bau endgültig eingestellt werden müsste. Der damalige Dompfarrer Karl Dorr startete die "Stephansgroschen-Aktion" und begab sich auf "Betteltour" durch die österreichischen Bundesländer. Den Erfolg schilderte er später mit den Worten: "Nicht ein Land schloss sich aus von dem großen Werk." Und auch die Bundesregierung trug einen Millionenbetrag bei, großzügige Spenden kamen auch von den Kammern, der Vereinigung österreichischer Industrieller - "und immer wieder von den kleinen Spendern, die im wahrsten Sinn des Wortes Stein auf Stein legten".
Fahrten von Kirchenvertretern und Unterstützungsgesuche Kardinal Innitzers bei Amtskollegen ergaben auch Hilfe aus dem Ausland. Dompfarrer Dorr sprach 1952 von insgesamt 27 Millionen Schilling, die in den Wiederaufbau des Stephansdoms flossen.
Am 23. April 1952, am Domweihetag, wurde schließlich der zur Gänze wiederhergestellte Dom feierlich wiedereröffnet - als "ein eindrucksvolles Zeugnis der Liebe der Menschen dieser Stadt zu ihrer Hauptkirche", wie Innitzer freudig feststellte. Schon Tags zuvor war die im oberösterreichischen St. Florian neu gegossene Pummerin nach einem Triumphzug in Wien empfangen und in einem Gerüst neben dem Dom provisorisch aufgestellt worden.
Beim Festgottesdienst am 27. April, dem Sonntag darauf, war sogar Papst Pius XII. via Funk aus dem Vatikan zugeschaltet, der in deutscher Sprache wörtlich erklärte:
Was Ihr vollbracht, ist eine gewaltige Leistung. Wir glauben sie deuten zu dürfen als Beweis Eures entschlossenen Willens, in gegenseitiger Verbundenheit der einzelnen und der Gemeinschaft, in geduldigem Harren und zähem Wirken Euch hindurchzuarbeiten durch die Unsicherheit und Not dieser Jahre in glücklichere Tage echten Wohlstands in Freiheit und Frieden.
Zum Evangelium wurde erstmals die Pummerin angeschlagen. An dem feierlichen Gottesdienst nahmen alle Bischöfe des Landes, Bundespräsident Theodor Körner und die Bundesregierung teil.
Freilich waren damals noch nicht alle Schäden vollständig behoben. Die Arbeiten am Nordturm konnten erst 1957 abgeschlossen werden. Ab zu diesem Zeitpunkt war es auch möglich, die Pummerin an ihren zugedachten Platz im Turm hochzuziehen. Die übrigen Restaurierungsarbeiten konnten dann weitgehend bis 1965 fertiggestellt werden, Kriegsschäden am südlichen Heidenturm wurden aber auch noch später behoben, und erst 1983 wurden in der Barbarakapelle am Fuß des Nordturms die letzten Schäden aus der Kriegszeit behoben.
Äußerem Wiederaufbau muss innerer folgen
In einer Festbeilage der Wochenzeitung "Die Furche" zur Wiedereröffnung 1952 sorgte der unvergessene Denker und Publizist Friedrich Heer für nachdenkliche Töne im allgemeinen Jubel. Es gehe nicht nur um äußeren, ja mehr noch um inneren Wiederaufbau. Wenn der über Jahrhunderte aufgebaute Stephansdom nun in sieben Jahren wiedererstanden sei, darf laut Heer nicht vergessen werden:
Unsere Dome waren lange bereits, ehe die Bomben ein äußeres Zerstörungswerk setzten, als sichtbarstes Zeichen, innerlich aufgegeben ... nicht von fernen Fliegern, sondern von uns. Von uns Christen.
Und der katholische Intellektuelle fügte einen Satz hinzu, der auch heute noch ungebrochene Gültigkeit hat:
Der Dom aber sagt: Ihr werdet mich morgen nicht halten können, wenn ihr mich heute nicht bezeugt.
Quelle: kathpress