Europa braucht Solidarität und Spiritualität
"Europa braucht vieles, aber am meisten Dich!": Mit diesem leidenschaftlichen Appell hat der Eisenstädter Diözesanbischof Ägidius J. Zsifkovics seinen an die burgenländischen Katholiken gerichteten Osterbrief 2019 betitelt. Angesichts der Wahlen des Europäischen Parlaments im Mai ermutigte der in der Österreichischen Bischofskonferenz für Europafragen zuständige Bischof dazu, "unsere Europafahne als Schatzkarte wieder neu lesen zu lernen" und an der EU-Wahl teilzunehmen. "Überlassen wir unsere Zukunft nicht anderen oder dem blinden Zufall, sondern bauen wir mit am Haus Europa!", rief Zsifkovics auf. Der Kontinent brauche für einen guten Weg in die Zukunft Solidarität "als Gegenmodell zu Egoismus und schrankenloser Gier", eine "Technik der Barmherzigkeit" und Spiritualität.
Der Osterbrief wird an alle Pfarren des Burgenlandes versandt und zu Ostern in den Kirchen verlesen. Nicht nur der Text, auch die künstlerische Bildgestaltung macht das Schreiben zu etwas Besonderem, wies die Diözese Eisenstadt auf ihrer Website hin. Der burgenländische Künstler Heinz Ebner gestaltete in Zusammenarbeit mit dem Bischofssekretär und Pressesprecher Dominik Orieschnig nicht nur den in Leporello-Form gehaltenen Osterbrief mit dem Landespatron Martin von Tours auf der Titelseite, sondern auch ein 26 Meter breites und 3,3 Meter hohes Riesenbild, das eine der Fassaden des Eisenstädter Bischofshofs zieren soll. Dieser werde "somit zum Portal für ein Europa-Plädoyer".
Kann und darf ein Bischof die bevorstehende Europa-Wahl "zum Thema eines Osterbriefes machen?", fragte Zsifkovics eingangs und gab eine deutliche Antwort:
Er kann nicht nur, er muss! Denn Europa ist mehr als ein politisches Konstrukt.
Europa habe "eine Seele", die in den Alltag seiner Bürger hineinwirke und die es wieder bewusst zu machen gelte. "Gerade wir Burgenländer, die wir so lange im Schatten des Eisernen Vorhangs (...) leben mussten, haben so vieles an Respekt, Hilfe und Förderung vom Vereinten Europa erhalten", betonte Bischof Zsifkovics. Er nannte Europas Gerechtigkeit, Brot, Freiheit und Frieden als Ernte. Somit sei es eine "Frage des Anstands und der Ehre", an der Wahl des Europäischen Parlaments teilzunehmen.
"Menschenwürde ist wichtigste Währung"
In seinem Osterbrief rief der Bischof die grundlegenden Prinzipien des europäischen Projekts in Erinnerung:
Die wichtigste Währung dieses EU-Raumes ist nicht der Euro, sondern die mit unantastbarer göttlicher Würde ausgestattete Person.
In der griechischen Philosophie sei das Individuum, im römischen Denken der Staat geboren worden. Neben diesen beiden Wurzeln sei Europa auch aus Golgatha, also der christlichen Auferstehungshoffnung, erwachsen, wies Zsifkovics hin. Trennende, abwertende, ausgrenzende Grenzen seien damit umgestoßen worden. "Alle Menschen haben nun Zugang zum Allerheiligsten. Der Mensch ist ab diesem Wendepunkt der Geschichte keine verfügbare Sache, wie es nach Römischem Recht die Sklaven waren, ebenso wenig ist er ab jetzt noch Mitglied einer bestimmten Kaste, Klasse oder Rasse", fasste der Bischof das christliche Menschenbild zusammen.
Als "Urbild des großen Europäers" bezeichnete Zsifkovics den in Pannonien geborenen, im heutigen Italien und Deutschland als Soldat tätigen und später in Gallien zum Bischof ernannten heiligen Martin, der für einen frierenden Bettler seinen Mantel teilte: "Das christliche 'Virus' der Nächstenliebe, die unerhörte Idee, mit dem Schwert Eigentum zu teilen, anstatt es zu erbeuten, war eingesickert bis ins innerste militärische Mark des zerfallenden römischen Imperiums", heißt es im Osterbrief. Martin sei zum "multikulturellen Brückenbauer zwischen den Völkern" geworden. Gemeinsam mit anderen großen Heiligen von Benedikt von Nursia bis zu der von den Nazis ermordeten Edith Stein habe er "die christliche DNA Europas" fortgeschrieben, so Zsifkovics.
"Christliche DNA Europas" nicht verschleiern
Ausdrücklich warnte der Bischof davor, diese "christliche DNA" zu verschleiern oder zu verdrängen. Sonst drohe die Demokratie zur "Diktatur der Mehrheit", der Rechtsstaat "zum Henker zu verkommen". Das christliche Kreuz sei das unverwechselbare Zeichen Golgothas: "Wer dieses Kreuz ausradieren will, ist nicht gegen ein Symbol bloß der Christen. Er rührt damit an die letzte Firewall menschlicher Unantastbarkeit." In diesem Zusammenhang übte Zsifkovics auch Kritik an der Streichung des Karfreitags als Feiertag für evangelische Christen: Dies sei "ein beängstigendes Signal. Es wirft viele beunruhigende Fragen auf. Eine davon lautet: Was oder wer kommt als Nächstes dran?"
Europa brauche Spiritualität, "verstanden nicht als unaufgeklärte Weltfremdheit, sondern als ein grundlegendes Offensein für die verborgenen Wege Gottes", betonte Bischof Zsifkovics. Ein "Europa der Solidarität" schließe wesenhaft die Wertschätzung von Vielfalt ein, die Europa so reich mache. Und Europa brauche eine "Technik der Barmherzigkeit", um mit sozialem Gewissen menschliche Nöte zu bekämpfen. Technik- und Wissenschaftskultur müssten, so Zsifkovics eindringlich, der Würde des Menschen verpflichtet sein.
Der Osterbrief des Eisenstädter Bischofs endet mit einem emphatischen Aufruf an die Gläubigen:
Seien wir nicht nur finanzielle Nehmer, sondern seien wir ideelle Geber Europas, das jeden Einzelnen von uns in diesem Moment der Geschichte so dringend braucht!
Quelle: kathpress