Zölibat ist "große Freiheitserfindung der Menschheit"
"Rettet den Zölibat!" Diesen Appell hat der Schweizer Religionshistoriker Helmut Zander seiner auf "feinschwarz.net" veröffentlichten differenzierten Auseinandersetzung mit einer seit Jahrhunderten idealisierten Lebensform vorangestellt, die zunächst eine revolutionäre Absage an den "Reproduktionszwang" gewesen, nun aber in Misskredit geraten sei. Im Blick auf den Zölibat als im Katholizismus verpflichtende Lebensform für Priester und Ordensleute gelte: "Aus Charisma wurde Institution". Und: Als Ausdruck einer "Körperfeindschaft" habe der Zölibat viel Leid verursacht, wies der Professor für Vergleichende Religionsgeschichte und Interreligiösen Dialog an der Universität Fribourg (Schweiz) hin.
Dennoch gelte: Der Zölibat sei "eine der großen Freiheitserfindungen der Menschheit" und eine Möglichkeit, "ganz für Gott und/oder für Menschen zu leben", so Zander: "Hier liegen die Motive, den Zölibat zu retten."
In seiner Frühzeit habe das Christentum den Zölibat als "radikale Infragestellung von Volk, Stamm oder Clan", als "Absage an die Abhängigkeit von Gesellschaft und Biologie" zu einer Option für alle gemacht. "Das war kein neues Lifestyle-Produkt in der Pluralisierung von Lebensformen", wie Zander pointiert formulierte, "nein, das war Revolution" und machte Christen religionsgeschichtlich im Vergleich mit Juden oder später Muslimen zu "krassen Außenseitern".
Jude wurde man durch einen jüdischen Vater oder später eine jüdische Mutter; gleiches galt - und gilt - für Muslime, erklärte der Religionshistoriker. Beide anderen abrahamitischen Religionen hätten konsequenterweise keine dem Christentum vergleichbare zölibatäre Lebensformen entwickelt, "die Zeugung von Nachkommen galt als Selbstverständlichkeit, als Reichtum und oft als Pflicht". In Tora und Koran fänden sich viele Regelungen zu Themen, die im Neuen Testament fast komplett fehlen: Vaterschaft, Geschlechtsverkehr, Menstruation. Die Patriarchen des alten Israel und auch der Prophet Mohammed waren "ordentliche Väter mit vielen Kindern", erinnerte Zander.
Kinder sicherten das Bestehen einer Gruppe bzw. einer Ethnie. Ohne Nachkommen waren die Versorgung bei Krankheit, im Alter und ein gutes Begräbnis ein "Vabanque-Spiel", schrieb Zander. "Der Zölibat war mithin ein Hochrisikounternehmen", für Frauen war er angesichts der Reproduktionszwänge zudem ein "Luxus an Freiheit". Dennoch: "In der vorchristlichen Antike ein Ausnahmeprojekt, wurde der Zölibat in der frühen Kirche ein Ideal, das in den ersten drei Jahrhunderten eine atemberaubende Verbreitung fand."
Ideal und sein oft "genaues Gegenteil"
Als "große Freiheitserfindung" könne man den Zölibat freilich nicht würdigen, ohne anzuerkennen, dass man unter dem Mantel des Zölibats oft "das genaue Gegenteil praktizierte": Zander erwähnte Äbte, die von der Familie das Amt als Klostervorsteher geerbt hatten, homosexuelle Beziehungen in Konventen, erzwungene Sexualität mit Frauen bis in höchste Kirchenkreise hinein. Nicht zu vergessen sei auch, dass der Zölibat bei der Verdammung von Sexualität und Frauenfeindschaft eine große Rolle spielte. "Viele Zölibatäre haben den Zölibat verraten, die Opfer darunter unsäglich gelitten", so Zander.
Den ersten Schlag habe das ehelose Leben in der lateinischen Kirche erhalten, als es "zur Bedingung der Existenz als Priester" wurde - "nicht zuletzt, um die Freiheit der Kirche von weltlicher Herrschaft zu sichern", wie der Theologe hinzufügte. Nach dem jüngsten Schlag durch die Missbrauchskrise drohe der verallgemeinernde Schluss:
Wer sich vom Reproduktionszwang befreit, kommt in den Geruch, ein Kinderschänder und Vergewaltiger zu sein, ein Feind seines Körpers, der oder die mit verdrängter Sexualität tendenziell pathologisch lebt.
Freiheit als "alles entscheidendes Kriterium"
Der Pflichtzölibat sei nicht die einzige Normalität in der katholischen Kirche, wie Zander hinwies. Es gebe verheiratete Priester in mit Rom unierten Kirchen, ebenso vormals protestantische Amtsträger, deren Ehen nach ihrer Konversion zum Katholizismus selbstverständlich bestehen bleiben. Allerdings dürfte ein Ende des allgemeinen Priesterzölibats die katholische Kirche "in schwindelerregende Veränderungen stürzen, deren Folgen wohl niemand abzusehen vermag", mutmaßt der Fribourger Theologe.
Wenn man "den Zölibat retten" wolle, müsse "Freiheit das alles entscheidende Kriterium" werden. Denn "wenn Revolutionen alltäglich werden, verlieren sie ihre Sprengkraft", schreib Zander. "Das ist dem Zölibat passiert." Für seine Lebbarkeit und Glaubwürdigkeit heute bedürfe es institutioneller Stützen - etwa "Gemeinden, die ehelos (und nicht beziehungslos) lebende Priester - eines Tages Priesterinnen - emotional und lebensweltlich wertschätzen". Auch Beziehungen würden helfen, für Zölibatäre ein wenig die Familie zu ersetzen. "Aber auch der von Beziehungsnetzen abgefangene Zölibat kann nur funktionieren, wenn innere und äußere Freiheit zum absoluten Maßstab werden - und das kirchliche (also menschliche) Recht eine "Berufung" nicht menschengemachten Grenzziehungen unterwirft." (www.feinschwarz.net/rettet-den-zoelibat/)
Quelle: kathpress