IMABE-Direktor froh über Abwehr von "Greise als Schaden"-Urteil
Ärzte dürfen für die künstliche Verlängerung des Lebens eines Patienten nicht finanziell haftbar gemacht werden, auch wenn dies Dritte als reine Leidensverlängerung sehen oder wenn dies medizinisch nicht indiziert war: Dieses aktuelle Grundsatzurteil des Deutschen Bundesgerichtshofes in Karlsruhe hat der Direktor des Instituts für medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE), Johannes Bonelli, ausdrücklich begrüßt. "Menschliches Leben, egal ob es krank, schwach, oder mühselig ist, kann niemals als Schaden angesehen werden", unterstrich der Internist und Leiter der in Wien ansässigen Ethik-Facheinrichtung, die unter Patronanz der Bischofskonferenz steht, am Mittwoch in einer Mitteilung.
Geklagt hatte ein in den USA lebender Sohn und Alleinerbe eines 82-jährig verstorbenen Mannes, der an fortschreitender Demenz litt und seit 2006 per Magensonde ernährt wurde. Der Sohn war der Ansicht, dass das Leiden seines Vaters wegen der künstlichen Ernährung unnötig in die Länge gezogen worden sei. Vom behandelnden Arzt, der laut Darstellung des Sohnes mit dem Leben ja auch das Leiden des Mannes verlängert habe, wollte er Schmerzensgeld und Ersatz für Behandlungs- und Pflegeaufwendungen in der Höhe von 150.000 Euro. Vertreten wurde der Kläger durch den Münchner Anwalt Wolfgang Putz, der schon mehrere öffentlichkeitswirksame Verfahren zum Thema Sterbehilfe geführt hat.
Zu Beginn sei der Vater keineswegs sterbend gewesen, weshalb in diesem Fall eine Verweigerung von Ernährung und damit ein Verhungernlassen "aus ethischer Perspektive unmoralisch" gewesen wäre, erklärte der Wiener Experte Bonelli hingegen die Hintergründe. Freilich müssten Maßnahmen laufend evaluiert und könnten gegebenenfalls auch abgesetzt werden, wenn ein Patient tatsächlich im Sterben liegt, so der Internist. Wie viel Behandlung bzw. lebenserhaltende Maßnahmen der alte Mann selbst gewünscht hatte, wusste aber niemand: Er hatte keine Patientenverfügung verfasst und sein mutmaßlicher Wille dazu war nicht feststellbar.
Das Verhalten des Arztes war von den Richtern in erster Instanz als Behandlungsfehler gewertet worden, ehe die zweite Instanz - beschäftigt war damit das Oberlandesgericht München - urteilte, dass die Lebensverlängerung per PEG-Sonde einen "Schaden im Rechtssinn" darstellte, woraufhin dem Sohn zumindest ein Schmerzensgeld von 40.000 Euro zugesprochen wurde. Kläger und Beklagter legten dagegen Berufung ein und die Klage auf Schmerzensgeld wurde nun in letzter Instanz - vom Bundesgericht - abgelehnt.
Die Aufklärungspflicht eines Arztes habe nicht den Zweck, "den Erben das Vermögen des Patienten ungeschmälert zu erhalten", so die Karlsruher Richter, die dabei offen ließen, ob der Hausarzt damals einen Fehler gemacht hatte oder nicht. Ihr Urteil begründeten sie damit, dass das Leben juristisch niemals als "Schaden" eingestuft werden dürfe, sei es auch noch so leidvoll: "Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu. Deshalb verbietet es sich, das Leben - auch ein leidensbehaftetes Weiterleben - als Schaden anzusehen", steht im Urteilsspruch. Würde man Ärzten die Entscheidung über den Wert des Lebens abverlangen, begäbe man sich damit auf "gänzlich verbotenes Terrain".
Dass menschliches Leben - "egal ob es krank, schwach, oder mühselig ist" - niemals als Schaden angesehen werden dürfe, unterstrich auch IMABE-Direktor Bonelli. Es wäre ein "fatales Signal", hätten Ärzte nach den "Kind als Schaden"-Urteilen nun auch mit "Greise als Schaden-Urteilen" zu rechnen. Vielmehr gelte es, dass Ärzte in der Ausbildung in ihrer Kompetenz gestärkt werden, um sowohl Über- als auch Unterversorgung zu vermeiden. Den psychischen Druck auf Ärzte, aufgrund drohender Haftungsklagen einen älteren Patienten mit Demenz von vornherein nicht mehr zu ernähren, gelte es unbedingt zu vermeiden.
Quelle: kathpress