Neues Buch über Rolle der Kirche in den Jahren 1918 und 1938
Wie verhielt sich die katholische Kirche zum Ende des Bündnisses von Thron und Altar bei der Errichtung der Republik im November 1918 und was war ihre Rolle 20 Jahre später bei der Auslöschung Österreichs durch den Anschluss an Hitler-Deutschland? Diese Fragen und die zentralen Daten des letztjährigen Gedenkjahres waren Thema eines hochkarätig besetzten Symposiums der Österreichischen Bischofskonferenz am 5. Oktober 2018 in Wien, dessen Ergebnisse jetzt als Dokumentation vorliegen. Unter dem Titel "Katholische Kirche zwischen 1918 und 1938" enthält sie nicht nur die vertieften und ausgeweiteten Beiträge der Referenten, sondern auch Dokumentarisches und Stimmen von Zeitzeugen.
Im Geleitwort dazu erinnert Kardinal Christoph Schönborn an die dramatischen Ereignisse beim Sturm auf das Wiener Erzbischöfliche Palais durch die Hitlerjugend am 8. Oktober 1938. Er war eine von den Machthabern geplante Reaktion auf die tags zuvor stattgefundene Rosenkranzfeier mit rund 7.000 Jugendlichen im Stephansdom, die als größte Manifestation gegen das NS-Regime in Österreich gilt. Bei den Gewalthandlungen verwüstete die Hitlerjugend (HJ) das Bischofshaus und zerstach an mehreren Stellen ein lebensgroßes Bild des gekreuzigten Christus, das auf Wunsch von Kardinal Theodor Innitzer bis heute nicht restauriert worden ist.
"Mich berührt das durchbohrte Gemälde. Denn es macht die Erinnerung an eine unheilvolle Zeit großen Versagens, aber auch an die Taten des Widerstands und der Hoffnung anschaulich", schreibt Kardinal Schönborn in dem 328 Seiten starken Buch. Das beschädigte Gemälde zeige aber auch, "worum es in der Kirche geht: dass wir als selber Verwundete für andere da sind, die verwundet sind". Zugleich gelte es, an die Vergangenheit zu denken, um für die Zukunft zu lernen, so der Wiener Erzbischof in seinem Geleitwort zu dem Buch mit dem Untertitel "Bildung als Erinnerungslernen", das im "LIT"-Verlag in der Reihe "Religion & Bildung" erschienen ist.
Das Symposium und der jetzt erschienene Sammelband sollen aufgrund letzter historischer Erkenntnisse nicht nur die "große" Geschichte rund um 1918 und 1938 und ihre Abläufe darstellen, sondern auch an viele "kleine" und einmalige Lebensgeschichten erinnern, heißt es im Vorwort. Es ist von Annemarie Fenzl, Christine Mann und Paul Wuthe verfasst, die im Auftrag der Bischofskonferenz federführend für das Projekt verantwortlich waren. Zentral bei den Ausführungen war ein Blick auf Persönlichkeiten der damaligen Zeit, "die sich in diesen Jahren zu bewähren hatten, mit all ihrer Unsicherheit, ihrem guten Willen, aber auch in ihrem Versagen". 1918 sei es um nicht weniger gegangen "als um die Frage Wahrung von Kontinuität oder Bereitschaft zum Wandel, 1938 um die wahrscheinlich noch grundlegendere Entscheidung zwischen Widerstand und Anpassung", heißt es dazu weiter.
Autoren Scheuer, Klieber, Fenzl u.a.
Das Buch beginnt im inhaltlichen Teil mit einem theologischen Beitrag von Bischof Manfred Scheuer, der auf grundlegende Fragen der Katholischen Soziallehre und der Relevanz paulinischen Denkens eingeht. Der Wiener Historiker Doz. Helmut Wohnout skizziert den Übergang von der Monarchie zur Republik mit einem besonderen Blick auf Ignaz Seipel. Prof. Michaela Sohn-Kronthaler von der Universität Graz widmet sich ebenfalls dem Thema des Übergangs zur Republik und bearbeitet die sich entwickelnde Positionierung Kardinal Piffls in ihrer Spannung zwischen Loyalität gegenüber dem habsburgisches Herrscherhaus und der Erkenntnis einer Zeitenwende, der die Kirche letztlich sich nicht verweigern konnte.
Der Hauptteil des Buches thematisiert das Schicksalsjahr 1938, die Ohnmacht gegenüber der völlig neuen Situation, mit der das NS-Regime die kirchlich Verantwortlichen konfrontierte. Dabei versucht Prof. Sohn-Kronthaler in ihrem Beitrag die Komplexität der Ereignisse und des Verhältnisses von Kirche, speziell von Bischöfen, und nationalsozialistischen Machthabern zwischen März und Oktober 1938 aufzuzeigen. Der Wiener Kirchenhistoriker Prof. Rupert Klieber stellt dar, welche neuen Aspekte zum Jahr 1938 die Auswertung der seit einigen Jahren zugänglichen vatikanischen Archivalien bietet. Im Beitrag von Kurt Scholz geht es u.a. um das Verhalten von Kardinal Innitzer und Karl Renner im Jahr 1938.
Ein weiterer Schwerpunkt unter dem Titel "Läuterung und Aufbruch" ist der Zeit des kirchlichen Überlebens während der NS-Zeit und dem kirchlichen Aufbruch nach 1945 bis zum Katholikentag 1952 gewidmet, das mit dem "Mariazeller Manifest" und der Formel von einer freien Kirche in einem freien Staat die bis heute bedeutsame Verhältnisbestimmung zwischen Kirche und Staat auf den Punkt brachte. Dazu finden sich Beiträge von Christine Mann über verschiedenen kirchliche Überlebensstrategien in der Zeit von 1938 bis 1945 und von Eva Maria Kaiser über die gesellschaftspolitische Rolle der österreichischen Bischöfe in der unmittelbaren Nachkriegszeit am Beispiel der Entnazifizierung. Annemarie Fenzl widmet sich den vielfältigen Formen kirchliche Widerstands und beschreibt schließlich die Entwicklungen bis zum "Mariazeller Manifest" und zum Zweiten Vatikanischen Konzil. Ergänzt wird die Dokumentation um relevante Zeitzeugnisse zu den Ereignissen im Oktober 1938 und um damalige internationale Pressestimmen.
Das Buch kostet im Buchhandel 29,90 Euro. Es kann auch direkt über das Medienreferat der Bischofskonferenz (Stephansplatz 4/6/2, 1010 Wien, E-Mail: sekretariat@medienreferat.at) bestellt werden.
Quelle: kathpress