Religiöse Gebäude wirken auch auf Kirchenferne anziehend
Kirchenräume haben ihre Anziehungskraft aufgrund ihrer spirituellen Dimension keineswegs verloren, sondern sogar für Menschen, die nicht religiös sozialisiert sind, an Attraktivität gewonnen. Darauf hat Bischof Manfred Scheuer bei der noch bis Samstag in Linz stattfindenden Tagung "Kirchenräume weit denken" hingewiesen. "Religiöse Gebäude besitzen eine innere Qualität, die anderen Gebäuden in dem Maße nicht zukommt", betonte Scheuer. Die dreitägige Konferenz im Pfarrzentrum Linz-Marcel Callo beschäftigt sich mit Fragen der Nachnutzung von Kirchen, wenn dort kein Gottesdienst mehr gefeiert wird. Konkret fragen die beteiligten Experten danach, welche Initiativen neben Liturgie und privatem Gebet möglich und sinnvoll sind und wie sich bauliche und sakrale Identität mit einer erweiterten Nutzung verhalten.
Für Bischof Scheuer sind religiöse Gebäude "Orte der Anbetung, mit denen die Lebensgeschichten von Menschen mit ihrer Beziehung zum Transzendenten verflochten sind". Sie funktionierten selbst dann noch als Orte der Ehrfurcht und der Kontemplation, wenn Menschen sie vorrangig als Touristen aufsuchten und nicht mehr als Mitglieder einer bestimmten Religionsgemeinschaft. Die Aura des realen Sakralraums sei ein "Fest für die Sinne" und ermögliche laut dem Bischof auch Kirchenfernen Erfahrungen der Transzendenz. "So können sie in ihrer Funktion als Ort der Zuflucht, als ein 'Asylum', wiederentdeckt werden, als ein 'Obdach für die Seele' für alle, die auf der Suche nach einem zweckfreien, nicht fremdbestimmte Platz sind." In diesem diakonischen Konzept könnten Kirchen auch wieder Mittelpunkt von Stadt und Land sein und positiven Einfluss nehmen auf das Leben der Gesamtbevölkerung wie auch auf das Leben der christlichen Gemeinde vor Ort.
Neben Scheuer liefern bei der Tagung auch die Linzer Pastoralamtsleiterin Gabriele Eder-Cakl, die Ärztin und Psychoanalytikerin Veronica Gradl, der Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards (Universität Bonn) und der Pastoraltheologe Christian Bauer (Innsbruck) Impulse, ebenso der Architekt Walter Klasz und Christoph Freilinger vom "Österreichischen Liturgischen Institut". Die Tagung ist Teil des 2017 gestarteten Zukunftsweges der Diözese Linz und richtet sich vor allem an Pfarrer, Pfarrassistenten und weitere hauptamtliche Mitarbeiter sowie Pfarrgemeinderats-Leitungen, Finanzausschuss-Obleute und Projekt-Planungsgruppen.
Pastoralamtsleiterin Eder-Cakl sieht die Kirche vor die Herausforderung gestellt, ihren Platz in einer von "umfassenden Wandel" geprägten Gesellschaft zu finden. Neue digitale Technologien veränderten die globalen wirtschaftlichen aber vor allem auch die soziale Kommunikation, Menschen spürten Ungewissheit, sagte sie bei der Tagung. "Dort mitten drinnen steht die Kirche", so Eder-Cakl. Konkret müsse die Kirche diesen Wandel wahrnehmen, ihn annehmen und dann auch gestalten.
Die Pastoralamtsleiterin beschrieb in ihren Ausführungen eine Kirche, "von der wir in Europa wissen, dass diese Form einer selbstverständlichen volkskirchlichen Ausprägung in vielen Bereichen an ein Ende kommt". Bindung an eine Institution sehe heute schon und auch in Zukunft anders aus, so Eder-Cakl. Kirche müsse daher hier kreativ sein und neue Formen institutioneller Bindung finden. Immer wichtiger werde das persönliche Glaubenszeugnis, denn Menschen sein froh, "wenn jemand für sie - quasi stellvertretend - Glaube und Gemeinschaft lebt".
Dass Kirchenräume etwas Besonders sind, spürten Menschen intuitiv. Jeder Kirchen-Besucher trage aber auch seine eigene Lebenswelt in den Kirchenraum hinein. "Sie möchten ihre Lieblingslieder hören bei der Hochzeit, sie möchten ihr Engelbild aus ihrer Wohnung gesegnet bekommen und gehen deshalb in die Kirche." Prägend für die heutige Zeit sei der Wunsch vieler Menschen, sich ihre Glaubenswelt selbst zusammenzusuchen, erläuterte Eder-Cakl.
Psychotherapeutin: Sakrale Orte schützen
Die Ärztin, Psychoanalytikerin und Psychotherapeutin Veronica Gradl erläuterte in ihrem Vortrag, warum Menschen Sakralräume brauchen: "Das Heilige gibt uns vom Hintergrund her unser menschliches Maß. Ohne gültige Anbindung an das, was wir als heilig erkennen, verliert unsere Bewusstheit ihren angemessenen Rahmen im Ganzen der Wirklichkeit", so Gradl. Das Wirkliche und das Sakrale gehörten untrennbar zusammen, so die Psychoanalytikerin: "Es sind zwei zusammengehörige Aspekte der einen wirklichen Beziehung zur Welt und zum Ganzen - zu Gott -, die wir erlernen sollen." Sakrale Orte seien heute deshalb wichtiger denn je und müssten geschützt werden, weil sie zerstört würden "durch eine Art spiritueller Nachlässigkeit, die sich vielerorts breit macht mit Achtlosigkeit, Desinteresse und respektloser Taubheit für diesen feinen Pulsschlag des Seins", betonte Gradl.
Heiligkeit jenseits des Sakralen
Das Tagungsprogramm am Freitag eröffnete der Bonner Liturgiewissenschaftler Gerhards. Er zeigte auf, wie leerstehender Raum für eine humane Gesellschaft genutzt werden kann. Im Anschluss stellte der Pastoraltheologe Bauer anhand der Kirche St. Maria in Stuttgart die Frage nach Heiligkeit jenseits des Sakralen. Am Nachmittag wird Bauer über "Selbstbildende Formfindungsprozesse - ein Bohm'scher Dialog zur erweiterten Kirchennutzung" sprechen.
Auf dem Programm steht auch noch eine Wanderung zur Kirche Linz-St. Quirinus in Kleinmünchen, in der Christoph Freilinger erläutern wird, wie Symbolerfahrungen im Sakralraum gestiftet werden können. Am Samstag wird anhand konkreter Beispiele aufgezeigt, wie eine erweiterte Nutzung des Kirchenraumes möglich ist und welche pastoraltheologischen und liturgiewissenschaftlichen Fragen sich daraus ergeben.
Quelle: kathpress