Kritik an "lasch gewordenen Kirchen"
Kritik an einem verkürzten Verständnis des gemeinsamen Priestertums aller Getauften und einem unkritischen Missionsbegriff hat der Wiener Theologe Jan-Heiner Tück geübt.
Die Krise des Christentums in Österreich und Deutschland hängt damit zusammen, dass das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen in dieser Weise fast nicht vorhanden ist und da sehe ich eine Hauptkrise unserer lasch gewordenen Kirche.
Erklärte Tück bei einer Podiumsdiskussion am Montagabend in Wien. Eine durch Religionsfreiheit und weltanschauliche Pluralität konstituierte Gesellschaft biete den idealen Rahmen für ein zeitgemäßes christliches Zeugnis - eine Chance indes, die die christlichen Kirchen weitgehend ungenutzt lassen und stattdessen auf einen bedenklichen Missionsbegriff setzen würden, so der Dogmatiker.
Tück äußerte sich im Rahmen der von der Fakultätsvertretung Katholische Theologie an der Universität Wien, den Priesterseminaren der Diözesen Wien, Eisenstadt und St. Pölten und dem Zentrum für Theologiestudierende initiierten Veranstaltungsreihe "Theologie im Gespräch". Der Abend stand unter dem Titel "ChristIn-Sein dazwischen. Christentum leben inmitten pluraler Weltanschauungen". Mit Tück diskutierte unter der Leitung der ORF-Journalistin Kerstin Tretina die Wiener Fundamentaltheologin Marlene Deibl.
"Die Politik ist in einem weltanschaulich neutralen Staat verpflichtet die Religionen gleich zu behandeln und sie missbraucht ihre politische Kompetenz, wenn sie das nicht tut. Das heißt: die Freiheit des Gegenübers achten und anerkennen", sagte Tück. Dies gelte letztlich auch für die Religionen selber: Auch bei missionarischen Aktivitäten müssten diese die Freiheit des Anderen anerkennen und die Pluralität wertschätzen: Erst so könne es nämlich zu "wechselseitigen Überzeugungsformen" und letztlich zu einem interreligiösen Dialog auf Augenhöhe kommen, so Tück. "Dann wird's spannend - denn erst dann zeigt sich, wie tief der jeweilige Glaube ist und die Bereitschaft, wirklich Zeugnis abzulegen - ohne Überlegenheitsattitüden und ohne Triumphalismus, sondern den Weg der Kenosis gehend". Dies sei schließlich auch der Weg, den das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) empfohlen habe, erinnerte der Dogmatiker.
Gemeinsam warnten Deibl und Tück davor, Wahrheitsansprüche des Christentums zu absentieren: Er halte es für falsch, im interreligiösen Dialog bzw. in der Auseinandersetzung mit anderen "jene Quellen auszuklammern, aus denen religiöse Menschen leben", so Tück. Deibl plädierte in diesem Zusammenhang für einen "prozessuralen Wahrheitsbegriff, der dialogfähig ist": Es sei schließlich gut, dass es keine religiös homogene Gesellschaft mehr gibt. Man müsse jedoch christlicherseits die Sehnsucht der Menschen nach Eindeutigkeit ernst nehmen, denn daraus spreche die Angst vor "transzendentaler Obdachlosigkeit" und eine Sehnsucht nach einer "Beheimatung in Gemeinschaft" - Dinge, die eine durch und durch plurale Gesellschaft nur schwer bzw. nicht ohne persönliche Mühen bieten könne. "In religiös pluralen Gesellschaften muss man Grundwissen über andere Religionen mitbringen. Das verändert das eigene Christsein", ergänzte Deibl.
Die nächste Podiumsdiskussion im Rahmen der Reihe "Theologie im Gespräch" findet am 6. Mai statt. Dann werden der Wiener Moraltheologe Prof. Gerhard Marschütz und der Wiener Liturgiewissenschaftler Prof. Hans-Jürgen Feulner zum Thema "Herr, bin ich würdig? Lebensrealitäten junger ChristInnen im Konflikt mit der katholischen Lehre" diskutieren. (Infos: www.facebook.com/theologieimgespraech)
Quelle: kathpress