Ethikerin warnt vor Ausufern vorgeburtlicher Tests
Vor einem weiteren Anstieg pränataler Test- und Screening-Angebote, die weder die Versorgung der Frauen noch die der Kinder verbessern, hat die Wiener Bioethikerin Susanne Kummer gewarnt. In etlichen Ländern würden Frauen im ersten Schwangerschaftsdrittel regelrecht durchgemustert - darunter auch Deutschland, wo die Krankenkassen aller Voraussicht nach künftig die Down-Syndrom-Bluttests übernehmen. Dabei stelle sich "die Frage nach den gesundheitlichen, psychologischen und finanziellen Folgen eines solchen Programms", betonte die Geschäftsführerin des Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) im Vorfeld des Down-Syndrom-Tages (21. März) gegenüber "Kathpress".
Nachdem sich in Deutschland in der Vorwoche Krankenkassen, Ärzte, Kliniken und Patientenvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) für den Bluttest als Kassenleistung ausgesprochen haben - bei besonderen Risiken oder Auffälligkeiten in der Schwangerschaft, nach bestimmten anderen Voruntersuchungen und mit begleitender Beratung, wie es hieß - will im April der Bundestag über die gesellschaftlichen und ethischen Folgen dieser Bluttests debattieren. Details sind noch umstritten, die abschließende Entscheidung soll jedoch voraussichtlich schon im Spätsommer dieses Jahres fallen.
Zu wenig berücksichtigt werde dabei laut Kummer, dass der Begriff der Risikoschwangerschaft in den vergangenen 25 Jahren "weit überzogen" worden sei. "Schon 2009 wurden in Deutschland 72,7 Prozent aller Schwangerschaften als 'riskant' eingestuft". Seien auch 98 Prozent der gescreenten Schwangerschaften ohne Befund bzw. Auffälligkeiten, würden dennoch mehr als 80 Prozent der Frauen pränatale Diagnoseverfahren aus eigener Tasche bezahlen, und zwar "weit über die gesetzlichen Vorgaben hinaus".
In dem Maß, wie die Rede von Risikoschwangerschaften zunahm, seien auch die pränatalen Leistungsangebote immer weiter ausgeweitet worden - zum Leidwesen der Frauen, die noch weiter in ihrem Schwangerschaftserleben verunsichert würden, kritisierte Kummer: "Beobachter sprechen angesichts der Flut neuer genetischer Screeningmethoden von einer Überforderung der Schwangeren und auch einer 'pränatalen Straßensperre' für das Leben." Tatsächlich nämlich würden sich viele Eltern nach einem positiven Testergebnis gegen das Kind und für eine Abtreibung entscheiden.
Angst und Druck zum makellosen Kind
Die neue Pränatal-Diagnostik habe zudem auch drastische Folgen für die Gesellschaft: Eltern von Kindern mit Behinderung gerieten in Folge immer stärker unter Rechtfertigungsdruck, und bei Menschen mit Behinderung verstärke sich die "Angst, in dieser Gesellschaft nicht gewollt zu sein", verwies Kummer auf zentrale Kritikpunkte von Behindertenverbänden. In Deutschland hatte die Journalistin Natalie Dedreux, selbst betroffen vom Down-Syndrom (Trisomie 21) und für Menschen mit Behinderung engagiert, mit dem Satz "Ich finde es nicht gut, dass die Menschen uns abtreiben" für Aufsehen gesorgt.
Der seit 2012 erhältliche Gentest auf Trisomien, der schon von der zehnten Schwangerschaftswoche an angewendet werden kann und im Blut der werdenden Mutter nach Erbmaterial des ungeborenen Kindes sucht, kostet an die 600 Euro und wird in Österreich von einigen privaten Krankenkassen übernommen; darunter etwa der vom Konstanzer Unternehmen Lifecodexx angebotenen "Praena-Test". Die Untersuchung gilt im Gegensatz zur Fruchtwasseruntersuchung als risikolos, im Falle des Verdachts einer Trisomie muss diese allerdings dennoch durchgeführt werden.
Wie die Wiener Bioethikerin hinwies, gelten die nicht invasiven pränatalen Testverfahren als Wachstumsbranche; immer neue Tests würden derzeit auf den boomenden Markt drängen. Die Entwicklung mache zudem keinen Halt: "Heute stehen Trisomien im Fokus, längst wird aber an Bluttests gearbeitet, die Informationen über Diabetes-, Alzheimer- oder Brustkrebsrisiko liefern sollen. Der Druck auf Schwangere, ein makelloses Kind zur Welt zu bringen, wird durch die vermeintlich leicht anzuwendenden Bluttests steigen", gab die Ethikerin zu bedenken. Schon jetzt seien auch sogenannte "Low-risk-Schwangerschaften" im Fokus großer klinischer Studien, könne man aus Erklärungen der Herstellerfirmen schließen.
Quelle: kathpress