Fasteninstallationen in Tiroler Kirchen provozieren zu Nachdenken
Werke zeitgenössischer Künstler sind in der Fastenzeit im Dom und in der Spitalskirche von Innsbruck sowie in der Stadtpfarrkirche Hall-St. Nikolaus zu sehen und regen die Betrachter dazu an, sich auf neue Weise mit ihrem Glauben auseinanderzusetzen. Die Werke stammen von dem in Graz geborenen Künstler Manfred Erjautz und des bekannten Südtiroler Bildhauers Lois Anvidalfarei. Für Hall und die Spitalskirche sei die Auseinandersetzung mit Gegenwartskunst eine Premiere, hob die Diözese Innsbruck in einer Aussendung hervor.
Im Innsbrucker Dom lässt Manfred Erjautz einen riesigen, leuchtendroten Schriftzug mit den Buchstaben "ME" (Übersetzung aus dem Englischen: Ich) über den Köpfen schweben. Auf dem Boden gespiegelt, ergibt sich daraus "WE" (Übersetzung: Wir). Die Lichtinstallation greife das "Spannungsfeld zwischen dem Blick auf das Eigene und der Solidarität in der Gemeinschaft auf", kommentierte Generalvikar Florian Huber das Kunstwerk. Die rote Farbe korrespondiert mit dem Rot des Gnadenbildes von Lucas Cranach am Hauptaltar, welches mittels eines violetten Scheinwerfers wie von einem Fastentuch verhüllt wirkt.
Für die ebenfalls von Erjautz stammende Installation "Your personal Jesus" in der Innsbrucker Spitalskirche wurde eine alte Christusfigur zur Uhr umgestaltet. Den Corpus hat der Künstler vor Jahren aus dem Müll gerettet und in drei Teile zerlegt, wobei Rumpf und Beine die Stunden, die Arme hingegen die Minuten und Sekunden anzeigen. Den Titel des Werkes, das 2017 bereits in der Wiener Konzilsgedächtniskirche für Aufsehen sorgte, hat Erjautz von einem Lied der Popgruppe "Depeche Mode" entlehnt. Der Kirchenrektor der Spitalskirche, Bischofsvikar Jakob Bürgler, erklärte bei der Präsentation, man wolle die Kirche "als Ort etablieren, in dem Glaube auf neue und überraschende Art erlebbar werden soll".
Bischof Hermann Glettler, der Erjautz persönlich kennt, wies auf die Herausforderung hin, die das Symbol des Kreuzes ausmache:
Das Kreuz ist weder ein beliebiges Dekor, noch ein Herrschaftszeichen. Es muss neu geschaut und erschlossen werden.
Manfred Erjautz provoziere mit seiner Jesus-Uhr im barocken Kirchenraum nicht nur ein neues Nachdenken über das Kreuz, so Glettler. "Er konfrontiert uns mit ernsthaften Fragen, die das Wesentliche des Lebens betreffen: Sind wir Getriebene der Zeit und der vielen Ansprüche, oder schaffen wir Unterbrechung?" Jesus gebe der Lebenszeit eine neue Qualität:
In jedem Moment ist es möglich, Vergebung anzunehmen, neu zu beginnen und dem Leben eine Wende zum Guten zu geben.
Mehrere Skulpturen unter dem Titel "Mensch - wer bist du?" sind während der Fastenzeit in der Stadtpfarrkirche Hall-St. Nikolaus ausgestellt und laden den Betrachter dazu ein, sich mit Fragen nach dem Menschen, nach Gott und nach dem Leid zu beschäftigen. Ihr Schöpfer Lois Anvidalfarei gilt als einer der bedeutendsten Bildhauern im deutschen Sprachraum.
Das künstlerische Schaffen von Anvidalfarei steht auch im Kontext der Bildsprache der christlichen Kultur, menschliche Empfindungen, Regungen und Nöte sind die Themen, die den Südtiroler Bildhauer beschäftigen, erklärt sein Studienkollege und Freund Magnus Pöhacker aus Hall in einer Aussendung der Diözese Innsbruck. Das Menschenbild, das der Künstler schaffe, sei in seiner formalen Sprache so klar, dass es auch von ungeübten Betrachtern zu entziffern sei. Während tradierte Vorstellungen des Gekreuzigten oder von Märtyrern oft nicht mehr zu berühren vermögen, seien die Plastiken von Anvidalfarei in der Lage, "die Empfindsamkeiten auf unterschiedliche Weise wieder zu aktivieren", so Pöhacker.
Quelle: kathpress