Priester brauchen Kompetenz im Umgang mit Sexualität
Defizite beim Umgang mit dem Thema Sexualität - auch mit ihrer eigenen - ortet der renommierten Gerichtspsychiater Reinhard Haller bei vielen Priestern. Dem müsste nach seiner Überzeugung schon in der Ausbildung der Kleriker entsprechend Rechnung getragen werden, "denn sie haben keinerlei Rüstzeug für den Umgang mit der Sexualität". Er habe einmal einen Priester behandelt, der aufgrund eines massiven sexuellen Missbrauchs zu einer mehrjährigen Haft verurteilt wurde, erzählte Haller in der Wochenendausgabe der "Vorarlberger Nachrichten". Dieser habe gesagt, während seiner gesamten Ausbildung nichts über Sexualität gehört zu haben.
In diesem Zusammenhang hinterfragte der Psychiater und Suchtexperte, der im Februar von der Österreichischen Bischofskonferenz für einen mit unabhängigen Experten zusammengesetzten Beirat zum Thema Missbrauchsprävention und Opferschutz gewonnen wurde, auch die geltenden Zulassungsbestimmungen zum Priesteramt: "Ob man dieses zwingende Zölibat angesichts der Ereignisse tatsächlich aufrechterhalten kann", ist für Haller "mehr als fraglich".
Dass das Zölibat an sich pädophil macht, glaube er nicht. Aber die Kirche habe das "Problem, dass Menschen, die pädophile Neigungen haben, und das sind gar nicht so wenige, kindernahe Berufe und Tätigkeiten suchen". Dem müsse man durch eine bessere Auswahl und eine "Enttabuisierung der Sexualität" ebenfalls entsprechen.
Antimissbrauchs-Gipfel: Konkretes fehlt noch
Den jüngsten Antimissbrauchs-Gipfel im Vatikan bewertete der Fachmann differenziert. Er gehe davon aus, dass bisher fehlende konkrete Ergebnisse im Anschluss an die Bischofsversammlung nachgereicht werden. "Man kann natürlich nicht in vier Tagen diese über Jahrhunderte angestauten Probleme lösen, und der Gerechtigkeit halber muss gesagt werden, dass es dahingehend Aktivitäten gibt." Haller verwies auf die Missbrauchs-Aufarbeitung durch die Klasnic-Kommission - der er auch selbst angehört - und bereits geleistete hohe Hilfszahlungen.
An der Missbrauchskonferenz missfielen ihm jedoch fehlende Novellierungen im Kirchenrecht. Es sei zwar über gesetzliche Dinge viel gesprochen worden, diese wurden "aber nicht angegangen". Haller:
Es sollte doch klar sein, dass ein Priester, der sich des Missbrauchs schuldig gemacht hat, nicht weiter sein Amt ausüben darf.
Seiner Überzeugung nach wäre es "höchst an der Zeit, dass sich die Kirche ihrer Haltung gegenüber der Sexualität stellt und sich neu darauf besinnt".
Der Kirche werde gar nichts anderes übrigbleiben, als sich der Sache zu stellen, betonte Haller weiter. Freilich sei sexueller Kindesmissbrauch, "da hat der Papst recht", ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Die Kirche habe dazu immer eine klare Haltung bezogen, diese "aber selbst nicht gelebt". Dazu verwies der Psychiater relativierend auf Berechnungen, "wonach von den sexuellen Missbrauchsfällen nur wenige Promille auf kirchliche Institutionen und Personen zurückzuführen sind". Die absolut notwendige Diskussion darüber solle also "nicht nur bei der römisch-katholischen Kirche hängenbleiben", es brauche eine gesamtgesellschaftliche Sicht. Haller wörtlich:
Wir leben in einer hypersexualisierten Welt. Da ist es bequem, einen Sündenbock zu haben, auf den man alles abladen kann. Die Kirche drängt sich hier natürlich auf.
Man müsse ungeachtet des Ernstnehmens der Opferschicksale bedenken: "30 Prozent der Anzeigen sind Fehlanzeigen, weil es unter anderem zu falschen Erinnerungen kommen kann." Dennoch bleibt es laut Haller das Allerwichtigste, dass sich die Opfer trauen, mit ihrem Problem an die Öffentlichkeit zu gehen und man sie ernst nimmt.
Frauenfrage endlich angehen
Großen Reformbedarf sieht der Psychiater auch in Bezug auf das Thema Frau in der Kirche. Dass die Kirche "auf alles verzichtet, was Frauen zu bieten haben, indem sie sie nicht zum Priesteramt zulässt, ist durch nichts gerechtfertigt". Jesus selbst habe gegenüber Frauen eine ganz andere Haltung eingenommen. "Wenn man heute sieht, was alles mit dem freiwilligem Einsatz von Frauen in der Kirche geschieht, kann man überhaupt nicht verstehen, warum sich die Kirche nicht traut, sich dieser Frage anzunähern", kritisierte Haller. Er vermute dahinter eine tief verwurzelte Angst vor der Frau. Aber:
Ich glaube, dass die Zukunft der Kirche ganz entscheidend davon abhängen wird, ob es ihr gelingt, die Frauen besser und gleichwertig zu integrieren.
Quelle: kathpress