"Einige in Politik sind auf der Flucht vor der Realität"
Die Asyl- und Fremdenpolitik in Österreich ist vielfach gespeist durch eine verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit bzw. durch das Schüren letztlich unberechtigter Ängste. Der ehemalige Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung und jetzige Vertreter der Allianz "Menschen.Würde.Österreich", Christian Konrad, hat dafür bei einem Pressegespräch am Montag in Wien klare Worte gefunden: "Einige in der Politik sind auf der Flucht vor der Realität." Weder die aktuellen Asylantragszahlen noch die Summe aller staatlichen Aufwendungen zur Bewältigung der Fluchtbewegungen inklusive Grenzsicherung würden rechtfertigen, dass diesem Thema in der Politik so viel Augenmerk gilt. "Fake" nannte Konrad die diesbezüglich Falsch-Darstellung der Wirklichkeit.
Die tatsächlichen Fakten: Weltweit seien knapp 70 Millionen Menschen auf der Flucht, 85 Prozent davon suchen Sicherheit in Entwicklungsländern ihrer Region. Nur 3,1 Millionen Menschen davon haben Asyl beantragt, davon kamen ab 2015 rund 170.000 Menschen nach Österreich, legte Konrad dar. 2018 wurden 13.400 Asylanträge in ganz Österreich gestellt, aktuell pro Monat rund 1.000 neue Anträge - das liegt laut dem Flüchtlings-Experten im langjährigen Schnitt. In Grundversorgung befinden sich derzeit in ganz Österreich 40.600 Personen, 14.656 davon in Wien - lediglich 0,78 Prozent der hiesigen Gesamtbevölkerung, so Konrad. "Diese Zahlen belegen keine Überforderung der Republik", betonte Konrad. Und die Tatsache, dass nicht einmal zwei Prozent der gesamten Staatsausgaben auf Ausgaben im Zusammenhang mit geflüchteten Menschen entfallen, quittierte er mit der rhetorischen Frage: "Was also soll die Neiddebatte, die Hetze?".
Der frühere Bankmanager setzt wie der ehemalige VP-Politiker Ferry Maier und andere Mitstreiter von "Menschen.Würde.Österreich" auf Integration. "Fremde werden Freude" prangte auf einem Banner beim Pressegespräch im Salon des gleichnamigen Vereins in der Wiener Garnisongasse. Dass dies in vielen Fällen gelingt, bezeugten die präsentierten Beispiele gelungener Integration: Klaus Brandl, Direktor am Abendgymnasium Wien, kam mit einer erfolgreich auf die Matura zusteuernden Schülerin mit Fluchthintergrund aus der Übergangsklasse ebenso ans Podium wie zwei Vertreter des in der Flüchtlingsbetreuung engagierten Vereins "Kumberg - wir wollen teilen" und der aus Damaskus stammende Jad Turjman, Autor von "Wenn der Jasmin auswandert" und derzeit engagiert im Schulprojekt "Heroes - gegen Unterdrückung im Namen der Ehre".
Bundespolitik "lässt im Regen stehen"
Thomas Weninger, Generalsekretär des Österreichischen Städtebundes, beklagte, dass die um Integration von Flüchtlingen bemühten Gemeinden "von der Bundesebene oft im Regen stehen gelassen werden" und notwendige Gelder etwa für Sprachkurse gekürzt werden. "Integration durch Leistung" - dieser von Sebastian Kurz in seiner Zeit als Staatssekretär vertretene Slogan gelte heute vielfach nicht mehr, denn auch Arbeitswilligkeit oder bereits erfolgte Integration schütze Betroffene nicht mehr vor Abschiebung.
Die zuletzt vom Innenministerium präsentierten Abschiebezahlen nahm Christian Konrad kritisch unter die Lupe: 45 Prozent der Abgeschobenen waren zuletzt EU-Bürger, 63 Prozent Europäer und eben nicht unberechtigt in Österreich befindliche Schwarzafrikaner oder Afghanen. Ungeachtet aller Symbolpolitik sei Integration der für das Zusammenleben hierzulande entscheidende Faktor, hielt Konrad fest. Diesbezüglich seien durchaus Fehler und Versäumnisse passiert, verwies er auf Communities von Tschetschenen oder Türken. Aber: Die "Flüchtlingswelle" von 2015 habe auch eine Reihe von bis heute erfolgreichen Initiativen angestoßen.
Norbert Johne aus der steirischen Gemeinde Kumberg schilderte einen bezeichnenden Vorfall als Beispiel für die Härten der gegenwärtigen Asylpolitik: Eine Familie aus Nahost sollte nächtens abgeschoben werden, dem entzogen sich die betroffenen Kinder durch Flucht und wurden daraufhin per Hubschrauber fremdenpolizeilich gesucht. Das habe in der Kumberger Bevölkerung einen Solidarisierungsschub mit Flüchtlingen ausgelöst, nach dem Motto "bei den Kindern hört sich's auf", wie Johne und eine Mitstreiterin berichteten. Heute befinden sich noch fünf Familien aus Syrien und dem Irak in der Kleingemeinde bei Graz, ehrenamtlich werde beim Spracherwerb und bei Behördenwegen geholfen, Einheimische lernten umgekehrt in Kursen orientalisch kochen, gemeinsam werden Feste gefeiert.
Fremdenangst dort, wo kein Kontakt
Ferry Maier wies auf Umfragen unter österreichischen Bürgermeistern hin, die belegten: Wo direkter Kontakt mit Geflohenen besteht, ist die Fremdenangst am geringsten; wo es keinen Kontakt gibt, am höchsten. Man habe den Eindruck, dass die Bundesregierung schon lange keine Kontakte mit Heimatvertriebenen hat, merkte Maier an. Dabei würde es angesichts des absehbaren Personalmangels in der Pflege durchaus Sinn machen, dazu bereite Asylwerber mit Sprachkursen dafür zu qualifizieren. Die Allianz "Menschen.Würde.Österreich" setzt sich - wie Maier mitteilte - für ein modernes Bleiberecht ein, das ca. 6.000 lange in Österreich lebenden Asylwerbern, darunter Lehrlinge in Mangelberufen, zugute kommen soll.
Moderator Peter Wesely endete mit einer Vorschau auf eine Integrationsenquete der Allianz am 16. März im Wiener Erste Campus, bei der Religionsvertreter und Kommunalpolitiker über Chancen und Herausforderungen eines neuen Miteinanders diskutieren werden. Ihre Teilnahme an einem Gedankenaustausch über Religionsfreiheit im Jahr 2019 zugesagt haben Kardinal Christoph Schönborn, der evangelische Pfarrer Michael Chalupka, IGGÖ-Präsident Ümit Vural und die Wiener Theologin Regina Polak. Sein Erfolgsrezept gegen soziale Probleme in der belgischen Einwanderungsstadt Mechelen erzählt Bürgermeister Bart Somers, der 2016 als weltbester Bürgermeister ausgezeichnet wurde. Er habe mit einem Mix aus strenger Sicherheitspolitik und einer umfassenden Integrations-Strategie große Erfolge erzielt, so die Veranstalter. (Info: https://www.mwoe.at)
Quelle: kathpress