Ab 2020 Ethikunterricht ab der 9. Schulstufe
Ethikunterricht wird ab Herbst 2020 verpflichtend für Schüler eingeführt, die sich vom Religionsunterricht abmelden oder konfessionslos sind. Das kündigte Bildungsminister Heinz Faßmann am Sonntag in der ZIB2 an. Im Herbst 2020 soll das neue Fach in der AHS-Oberstufe und an Polytechnischen Schulen eingeführt werden, ab 2021 dann auch in den Berufsbildenden Schulen (HTL, HAK) und Berufsschulen.
Derzeit laufen an 211 Schulen Ethik-Schulversuche. Ihn wundere, warum die Einführung so lange gedauert habe, sagte Faßmann im ORF-Fernsehen. "Seit 20 Jahren diskutieren wir darüber", es habe eine parlamentarische Enquete gegeben, auch der Rechnungshof habe empfohlen, den Ethikunterricht in das Regelschulwesen zu übernehmen. Auf die Frage, warum dies nicht für alle Schüler gelten soll statt nur für solche, die keinen Religionsunterricht besuchen, verwies der Minister auf das Konkordat zwischen der Republik Österreich und dem Heiligen Stuhl. "Wenn Sie so wollen: Wir machen die Alternative zur Freistunde", so Faßmann wörtlich.
Statt zu bemängeln, dass der Ethikunterricht nicht alle Schüler erfasse, gelte es den nun nach 20 Jahren beschlossenen Schritt zu würdigen. Die normgebende Kraft der Kirchen in der Gesellschaft nehme ab, zugleich die religiöse Vielfalt zu - umso wichtiger sei "ein gemeinsames Fundament des Miteinander", wie Faßmann erklärte.
Nicht als Konkurrenz zum Religionsunterricht, aber komplementär dazu.
Das für einen flächendeckend angebotenen Ethikunterricht erforderliche zusätzliche Lehrpersonal will der Minister, wie er sagte, mithilfe einer ab Herbst angebotenen Zusatzausbildung für interessierte Pädagogen aufstellen. "Das wird sich ausgehen, um im Schuljahr 2020 rechtzeitig starten zu können", ein Lehrermangel sei aufgrund des großen Interesses, dieses Fach zu unterrichten, nicht zu erwarten.
Faßmann wird am Dienstag um 9.30 Uhr gemeinsam Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache an einer Pressekonferenz zum Ethikunterricht teilnehmen. Als Schauplatz kündigte das Bundeskanzleramt am Montag das BG/BRG Pichelmayergasse in Wien-Favoriten an, an dem Ethik bereits seit einigen Jahren im Schulversuch unterrichtet wird.
Bischofskonferenz unterstützt Faßmann-Plan
Bereits Mitte Jänner hatte die Österreichische Bischofskonferenz Unterstützung für die vom Bildungsminister damals schon angekündigte Einführung eines verpflichtenden Ethikunterrichts für Schüler, die keinen Religionsunterricht besuchen, geäußert. Deren Generalsekretär Peter Schipka begrüßte die Umsetzung dieses auch im Regierungsprogramm festgehaltenen Vorhabens, das schon seit zehn Jahren von der Bischofskonferenz vorgeschlagen wird.
Ethikunterricht ist ein Mehrwert gegenüber dem jetzt bestehenden schulischen Defizit, und der konfessionelle Religionsunterricht ist demgegenüber ein zusätzlicher Mehrwert, weil er immer schon ethische Fragen behandelt, ohne sich darin zu erschöpfen.
Im "Regierungsprogramm 2017-2022" ist von der Beibehaltung des konfessionellen Religionsunterrichts die Rede und einem "verpflichtenden Ethikunterricht für alle, die keinen konfessionellen Religionsunterricht besuchen".
Seit 1997 Schulversuche
Den Schulversuch Ethik gibt es an österreichischen Schulen seit 1997. Derzeit wird an 211 AHS-Oberstufen bzw. berufsbildenden mittleren oder höheren Schulen (BMHS) Ethik als Pflichtgegenstand für Schüler angeboten, die keinen Religionsunterricht besuchen. Hintergrund für die seit den 1990er Jahren immer wieder geführte Diskussion um den Ethikunterricht ist die gesellschaftliche Entwicklung: In den vergangenen Jahrzehnten stieg der Anteil der Personen ohne Religionsbekenntnis ständig an - von vier Prozent im Jahr 1951 auf 17 Prozent 2017. Außerdem können auch Angehörige einer Religionsgemeinschaft vom Religionsunterricht abgemeldet werden - zunächst durch die Eltern, ab 14 Jahren können dies Schüler selbstständig auch ohne Einwilligung der Erziehungsberechtigten.
Bekenntnislose und von Religion abgemeldete Schüler haben derzeit ohne Schulversuch eine Freistunde. An Schulen mit Schulversuch müssen sie dagegen verpflichtend am Ethikunterricht teilnehmen, was die Abmeldung vom Religionsunterricht tendenziell unattraktiver macht. Eine freiwillige Teilnahme von Bekenntnislosen am Religionsunterricht als Freigegenstand war bisher möglich und soll es auch bleiben.
Unterrichten kann das Fach derzeit wie auch künftig jeder Lehrer, der an einer Pädagogischen Hochschule (PH) eine entsprechende Zusatzausbildung gemacht hat. In der Praxis sind das bisher vielfach Religionslehrer.
Pinz: Religionsunterricht hat "Mehrwert"
Die Schnittmengen zwischen Ethik- und konfessionellem Religionsunterricht sind laut der Leiterin des Schulamtes der Erzdiözese Wien, Andrea Pinz, größer als die Unterschiede. Auch der Religionsunterricht greife zentrale ethische Themen auf, biete aber zugleich "mehr als Ethik", nämlich existenzielle Fragen rund um das Woher, Wohin und den Sinn des Lebens. Und das vermittelt durch Fachleute , die ihre Wertebasis - nämlich die christliche - deklarieren. Zugleich indoktriniere Religionsunterricht nicht, sondern lade zu Reflexion und Auseinandersetzung, auch über andere Religionen, wie Pinz in der Ö1-Sendereihe "Punkt eins" am Montag sagte. Mit ihr im ORF-Studio saß Michael Jahn, Universitätslektor für Ethik an der Uni Wien und Schuldirektor im ersten Gemeindebezirk.
Andrea Pinz verwies auf bestehende Missverständnisse und Vorurteile den konfessionellen Religionsunterricht betreffend: Moderner Religionsunterricht kenne weder eine "konfessionalistische Engführung" noch eine Ausklammerung der Vernunft - vielmehr würden auch andere Religionen und ethisch-philosophische Grundfragen thematisiert. Und die Schüler wüssten dies zu schätzen: Laut der Schulamtsleiterin besuchen von rund einer Million katholischer Schüler in Österreich 90 Prozent den Religionsunterricht trotz der bestehenden Abmeldemöglichkeit; die Zahl der Abmeldungen seien trotz des steigenden Anteils an Konfessionslosen und der wachsenden religiösen Vielfalt in Österreich stabil zwischen acht und neun Prozent geblieben. Das spreche für die hohe Qualität, die Religionslehrer und -lehrerinnen den Kindern und Jugendlichen bieten, sagte Pinz.
Sie sieht den Ethikunterricht nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung. Wertevermittlung sei insgesamt ein Anspruch an das Schulwesen. Das Fach Ethik verglich Pinz mit einer Rundreise zu verschiedenen Wertsystemen, der Religionsunterricht biete zusätzlich die Beheimatung in einer kulturprägenden religiösen Tradition. Diese Perspektive lasse aber auch andere zu; nicht umsonst nähmen der Austausch zwischen den Konfessionen und dialogische Konzepte im Unterricht zu. Auch für das wünschenswerte Zusammenspiel zwischen Ethik und Religion im Schulunterricht gilt es nach den Worten der kirchlichen Bildungsexpertin durch die Schulautonomie gegebene Möglichkeiten von Kooperation zu nutzen.
Katholische Verbände loben rasche Einführung
Die Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände (AKV) "begrüßt und unterstützt" die verpflichtende Einführung des Unterrichtsfaches Ethik ab Herbst 2020 für alle Oberstufenschüler, die sich vom Religionsunterricht abmelden, oder konfessionslos sind. Die türkisblaue Regierung habe nach 20-jähriger Diskussion nun rasch zu einer Entscheidung gefunden, vermerkte AKV-Präsident Helmut Kukacka in einer Aussendung am Montag "ausdrücklich positiv".
Die AKV habe schon während der Regierungsverhandlungen sieben Forderungen und Vorschläge zum Thema Schule und Religionsunterricht an die Koalitionsparteien gerichtet, die nun in einem wichtigen Punkt umgesetzt würden. Damit wird auch die im Regierungsprogramm versprochene Einführung des Ethikunterrichtes, unter Beibehaltung des konfessionellen Religionsunterricht, verwirklicht und - wie Kukacka erinnerte - ein langjähriger Vorschlag der AKV umgesetzt.
Dadurch werden auch jene Schüler, die sich vom konfessionellen Religionsunterricht abmelden, in jenen ethischen Themenfeldern gebildet, die bereits jetzt großteils in einem modernen Religionsunterricht vermittelt werden. Der Ethikunterricht werde damit auch eine pädagogisch sinnvolle Alternative zur Freistunde, die ja derzeit all jene Schüler haben, die sich vom Religionsunterricht abmelden, schloss Kukacka.
Quelle: kathpress