Antimissbrauchs-Gipfel brachte Paradigmenwechsel
Aus Sicht des italienischen Vatikanexperten und Journalisten Marco Politi hat Papst Franziskus mit dem jüngsten Antimissbrauchs-Gipfel im Vatikan einen "echten Paradigmenwechsel" vollzogen. Vor dem Hintergrund ans Licht gekommener Missbrauchsfälle in den vergangenen Jahren habe der Papst erkannt, "so kann es nicht weitergehen", äußerte sich Politi am Mittwochabend in der Sendereihe "Klartext" auf Ö1. Auch wenn dem Gipfel bisher noch keine konkreten Vorschriften folgten, so habe er die Vertreter der Bischofskonferenzen doch dazu verpflichtet, sich dem Thema zu stellen. Ob den Worten nun auch konkrete Taten folgen werden, müsse sich in den nächsten Wochen und Monaten zeigen.
Einen Meilenstein habe der Gipfel aber bereits jetzt gesetzt: Viele der geladenen Bischöfe seien zum ersten Mal direkt mit Opfer-Erzählungen konfrontiert worden, was nach Einschätzung des Experten zu einer Sensibilisierung gegenüber dem Thema Missbrauch in der Kirche beigetragen habe.
Dass es allerdings über Nacht zu umwälzenden Reformen kommt, glaubt der Vatikan-Experte nicht. Die Kirche gleiche einem Staatsgebilde, "wenn man da Reformen durchbringen will, muss man die Leute, die Bischöfe in verschiedenen Ländern überzeugen", sagte Politi. Die Kirche habe den Missbrauch betreffend viele "Leichen im Schrank" und eine große Mehrheit der Bischöfe keinen Drang, diesen Schrank zu öffnen. Der Vatikanexperte sprach von einer regelrechten "Schlacht" innerhalb der Kirche, aber nicht nur was den Umgang mit Missbrauch angeht, sondern auch in Fragen des Zölibats oder hinsichtlich einer Priesterweihe von Frauen. In den vergangenen Jahrhunderten habe sich kein anderer Papst einer derart massiven Opposition gegenüber gesehen, wie Franziskus heute.
Positiv bewertete der Journalist die Bemühungen im Umgang mit Missbrauchsfällen vor allem in den Kirchen des deutschsprachigen Raumes, die seit Jahren entsprechende Strukturen förderten und Ansprechstellen für Opfer entwickelt hätten.
Papst für absolute Null-Toleranz
Der Papst selber habe sich für eine absolute Null-Toleranz gegenüber Missbrauch ausgesprochen und dem prompt auch Taten folgen lassen. Politi erinnerte etwa an den Fall des früheren US-Erzbischofs und Ex-Kardinals Theodor McCarrick, den Franziskus zuletzt strafweise in den Laienstand zurückversetzt hat. Diese Art von Aufklärungspolitik müsse nun in die ganze katholische Welt transportiert werden.
Politi sprach sich auch dafür aus, Dokumente zur Missbrauchsfällen in den Archiven des Vatikans offen zu legen und Opfer, die oftmals über die Vorgehensweise gegen ihre Peiniger im Dunkeln tappen würden, diesbezüglich besser zu informieren. Notwendig sei außerdem eine Anzeigepflicht an die zivile Justiz, sofern das Opfer einverstanden ist. Das bedeute einen Bruch im Umgang mit Missbrauch in der Kirche. Enttäuscht zeigte sich Politi über ein fehlendes Abschlussdokument nach dem Antimissbrauchs-Gipfel, das die anwesenden Bischöfe zur Umsetzung von Maßnahmen verpflichtet. Er hoffe allerdings, so der Journalist, dass dies in den nächsten Wochen nachgeholt wird.
Dass aus den Beratungen beim internationalen Kinderschutztreffen ein konkretes Konzept entstehen wird, davon zeigte sich P. Christian Haidinger, Vorsitzender der Superiorenkonferenz der Männerorden, überzeugt. "Daran wird jetzt gearbeitet, da habe ich großes Vertrauen, dass konkrete Schritte gesetzt werden." Eine Garantie, dass das in allen Ländern der Welt Punkt für Punkt umgesetzt werde, gebe es freilich nicht.
Klar ist für Haidinger auch, dass sich in der Ausbildung und Auswahl von Priestern und Ordensleuten etwas ändern müsse. Ein Patentrezept habe er zwar nicht, als hilfreich hätte sich aber etwa die Bestimmung erwiesen, das jeder Anwärter ein psychologisches Attest vorweisen müsse. In der Benediktinerkongregation sei dies seit 2010 vorgeschrieben.
Aktuelle Krise auch Chance
Die aktuelle Krisenstimmung in der Kirche nimmt die Unabhängige Opferschutzanwältin Waltraud Klasnic zugleich auch als Chance wahr, die beispielsweise in Österreich vor neun Jahren ergriffen worden sei. 2010 habe sich Kardinal Christoph Schönborn mit der Bitte an sie gewandt, die Opferanwaltschaft zu übernehmen. Das habe sich dann auch getan, allerdings nur unter der Auflage, nicht weisungsgebunden zu sein, denn in erster Linie gelte ihre Sorgen den Opfern, betonte Klasnic. Seither gibt es in Österreich mit der Unabhängigen Opferschutzanwaltschaft eine Anlaufstelle, an die sich bisher etwa 2.000 Menschen gewandt hätten. Klasnic gab allerdings auch zu bedenken, dass nur rund 1,5 Prozent aller Missbrauchsfälle in Österreich die Kirche oder andere Religionsgemeinschaften betreffen.
Die Weichenstellungen in Österreich machten eine Vertuschung von Missbrauchsfällen in der Kirche kaum mehr möglich. Nennt ein Opfer einen Namen, werde das zunächst geprüft und dann an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. "Da kann nichts mehr vertuscht werden", ist Klasnic überzeugt.
Zu Wort kam in der Sendung auch der Missbrauchsopfer und Buchautor Kurt Bauer. Die Kirche habe Vertrauen eingebüßt und "das ist nicht einfach so wiederzuholen, nur weil jemand sagt, machen wir neue Strukturen", sagte Bauer. Auch er habe kein Vertrauen mehr zur Kirche in ihrer jetzigen Form. Von der Kirche wünscht er sich mehr Unterstützung für die Opfer und ein Öffentlichmachen der Täter.
Quelle: kathpress