Kirche soll Gläubigen mehr Rechte zugestehen
Die Missbrauchs-Krise sollte der katholischen Kirche einen Anstoß dafür liefern, ihre eigene Verfasstheit zu überdenken, den Gläubigen mehr Rechte zuzugestehen und Kontrollmechanismen für Machtpositionen einzuführen: Das haben Vertreter von vier Reformbewegungen am Mittwoch in einer gemeinsamen Pressekonferenz in Wien gefordert. "Der Missbrauchsgipfel muss der Auftakt gewesen sein zu zügigen, konkreten Systemveränderungen. Papst Franziskus hat die einmalige Chance, die Kirche in eine mit einer Grundverfassung ausgestattete Gemeinschaft umzuwandeln. Er muss dabei selbst vorangehen", erklärte dabei der Sprecher der Pfarrerinitiative, Helmut Schüller.
An dem am Sonntag beendeten Kinderschutz-Gipfel im Vatikan hatte Schüller viel auszusetzen:
Wir hoffen, dass so etwas nie wieder geschieht - in dieser Form und in dieser Unkonkretheit. Es war eine aufwändige Veranstaltung, bei der die Anwesenden erst auf einen gemeinsamen Stand gebracht werden mussten um etwas zu wissen, was bei uns auch ein Jungpfarrgemeinderat weiß.
Den Teilnehmern hätte man ein "Pflichtenheft" in die Hand geben sollen für die Arbeit in den eigenen Landeskirchen, und am Ausgang hätte "ein Packen Formulare für Rücktrittserklärungen liegen können", so der frühere Wiener Generalvikar weiter. Schließlich seien viele der Teilnehmer des Treffens "Teil des Problems, nicht der Lösung" gewesen.
Das hinter dem Missbrauchs-Phänomen liegende Grundproblem ortete der Obmann der Pfarrerinitaitive bei Ungleichgewichten in der Kirche.
Katholiken haben sich damit abgefunden, in zwei Welten zu leben: Im weltlichen Bereich in einer Demokratie, und, sobald sie die Kirchenschwelle übertreten, als Untertanen einer absolutistischen Monarchie.
Lange Zeit seien Kirchenmitglieder völlig ohne Rechte und völlig isoliert gewesen, wenn es etwa Übergriffe durch Kleriker gegeben habe; in Österreich habe erst der "Groer-Schock" Mitte der 1990er-Jahre die Errichtung von Ombudsstellen ausgelöst. In einem "zähen Lernprozess" sei dann das Bewusstsein entstanden, "dass es Respekt, Achtung und eine Absicherung von Möglichkeiten geben muss".
Was weiter fehle, sei ein "Recht auf Kontrolle" gegenüber Bischöfen sowie deren Verpflichtung zu Rechenschaft und Übernahme von Verantwortung. Schüller:
Bischöfe sollten nicht nur bei Vertuschung ihr Amt verlieren, sondern auch dann, wenn sie nichts tun.
Weiters forderte Schüller eine Festschreibung von Grundrechten für Kirchenmitglieder. Das Projekt einer Grundverfassung sei einst von Papst Paul VI. angeregt, dann aber von Johannes Paul II. wieder "beerdigt" worden, "als man erkannte, dass es dabei ums Eingemachte geht", so der frühere Wiener Generalvikar. Gewaltenteilung müsse auch in der Kirche Einzug halten, denn "derzeit landest du bei allem wieder beim Papst - selbst wenn du ihn anklagst". Vorschläge für diese Grundverfassung sollten von Kirchenmitarbeitern auf allen Ebenen kommen, wobei der Zeitdruck groß sei: "Wenn die Kirche in den nächsten vier, fünf Jahren nicht den Turnaround schafft, dann ist es over", so der Eindruck des Pfarrerinitiativen-Obmanns.
Klerikalismus bekämpfen
Die bisherige Form der Priesterweihe sowie die Autorität der Kirchenführung sah Martha Heizer von der Plattform "Wir sind Kirche" durch die Missbrauchskrise infrage gestellt.
Die Legitimierung und das Monopol der heutigen Amtsträger, die Kirche im Namen Jesu zu leiten, wurde durch die vielen Verbrechen ad absurdum geführt.
Es gelte, den "Klerikalismus" zu bekämpfen durch die Abschaffung des klerikalen Standes; schließlich bewirke die Priesterweihe eine "Überhöhung", verbunden mit der Gefahr von "Arroganz, Hybris und Machtmissbrauch". Dass in der Kirche die Zurückversetzung in den Laienstand die Höchststrafe für Kleriker sei, halte sie für "absurd".
Als Alternative forderte die "Wir sind Kirche"-Vorsitzende Maßnahmen, die auf die "gleiche Augenhöhe und Würde" aller Getauften abzielten und Frauen oder Verheiratete nicht ausschlössen. Dazu gehörten vor allem die Neubetonung des Taufsakraments, ein neues Verständnis des Priesteramtes als bloße "Sendung für einen besonderen Dienst" statt als lockender Zutritt zu einem Machtapparat, sowie mehr demokratische Teilhabe an der Kirchenleitung. "Denn derzeit entscheiden nur 0,0004 Prozent aller katholischen Gläubigen - die Bischöfe - was geschieht", so Heizer. Auch Nichtgeweihten sei bei Synoden Stimmrecht zuzuerkennen.
"Zölibat schuld an Klerikalismus und Missbrauch"
Heribert Bartl, der Sprecher der Gruppe "Priester ohne Amt", sah die Aufhebung der Zölibatsverpflichtung als notwendige Reaktion auf die Missbrauchsfälle. Der Zölibat sei eine "menschenverachtende Forderung", diene nur dem kirchlichen Vermögens- und Machterhalt und zwinge viele Kleriker, "doppelbödig und unwahrhaftig zu leben". Bei manchen Priestern führe er zu einer "Verklemmung" und lasse sie ein "Ventil" dafür suchen - wobei dann mitunter Kinder zu "ungeeigneten Objekten ihrer Begierde" würden.
Auch Ewald Benes von der "Laieninitiative" forderte ein Überdenken der Zulassungsbedingungen für das Priesteramt. Die Anti-Missbrauchs-Konferenz sei eine "an sich richtige Symptombehandlung" gewesen, doch gehe es im konkreten Fall im Unterschied zu der Anwendung in der Medizin nicht um nicht behandelbare Ursachen oder nicht existente Therapiemöglichkeiten. Dass es in Deutschland laut kirchlichen Statistiken bei Katholiken doppelt so viele Missbrauchsfälle pro Kopf wie bei Protestanten gebe, gebe zu denken.
Die Reformbewegungen gaben gemeinsam die Auslobung eines neuen internationalen Preises mit der Bezeichnung "Trompete von Jericho" bekannt. Man wolle damit "moderne Heilige" mit besonderen Verdiensten um Reformen der katholischen Kirche würdigen. "Denn viele sind nur deshalb, da sie sich für Reformen eingesetzt haben, bestraft worden - durch Jobverlust oder Karriereknick. Bei uns geschieht das mit Glacierhandschuhen, in anderen Ländern jedoch teils wesentlich brutaler", erklärte Benes.
Quelle: kathpress