Rom: Missbrauchsopfer fordern "Null-Toleranz" gegenüber Tätern
Missbrauchsopfer haben am Tag vor Beginn des viertägigen Kinderschutzgipfels im Vatikan die Kirche zur Umsetzung einer "Null-Toleranz" gegen Missbrauch durch Geistliche aufgerufen. Diese müsse sowohl für Täter gelten, wie auch Obere, die deren Verbrechen vertuschten, bekräftigte der Gründer des Netzwerks "Ending Clergy Abuse", der US-Psychotherapeut Peter Isely, bei einer Pressekonferenz in Rom noch einmal zentrale Forderungen der Opferverbände. Dazu gehöre auch, überführte Beschuldigte den staatlichen Behörden zu übergeben. Eine solche Vorschrift müsse am Ende des Anti-Missbrauchsgipfels stehen.
"Der Papst kann das vorgeben", sagte Isely. Franziskus sei so mutig gewesen, nach Arabien zu reisen oder im Katechismus die Todesstrafe endgültig zu ächten. Daher fragten die Opfervertreter das Kirchenoberhaupt, wann er klare Vorschriften zu "Null Toleranz" vorgebe.
Die vatikanischen Organisatoren des Anti-Missbrauchsgipfels wollten am Mittwoch auch mit Vertretern von Opferverbänden zusammentreffen. Diese hatten eine solche Begegnung im Vorfeld gefordert. Ihr Zustandekommen war aber länger unklar gewesen, bevor es am Montag im Vatikan bestätigt wurde. An dem Treffen in einem kirchlichen Haus nahe des Petersplatzes nehmen sämtliche Mitglieder des Organisationskomitees sowie zahlreiche Betroffene von Missbrauch teil.
Bereits am Dienstagabend hatte die langjährige Geschäftsführerin eines US-Netzwerks von Missbrauchsopfern (SNAP), Barbara Dorris, Papst Franziskus aufgefordert, Täter öffentlich aus ihren Ämtern zu entheben und ebenso öffentlich zu machen, wer ihre kriminellen Taten decke. "Er sollte ihnen ihre Titel, ihr Gehalt und ihren Job nehmen", sagte Dorris bei dem von der internationalen Frauenorganisation "Voices of Faith" organisierten Pressetermin. Den vom Papst einberufenen Anti-Missbrauchsgipfel bezeichnete sie als "PR-Aktion".
Die deutsche Wissenschaftlerin Regina Franken-Wendelstorf sagte, die Kirche müsse ihre Sicht auf Vergewaltigung und sexuelle Belästigung ändern: "Es ist keine Sünde, sondern eine kriminelle Tat." Bischöfe müssten sehen, dass sie "nicht Teil der Lösung sind, sondern des Problems".
Doris Wagner, deutsche Theologin, Autorin, ehemaliges Ordensmitglied und Opfer sexuellen Missbrauchs, forderte Gewaltenteilung und unabhängige Anlaufstellen der Kirche für Missbrauchsopfer. Das Kirchenrecht müsse ein "demokratischer Prozess" sein. Laut Wagner sind zudem weltweit unabhängige Studien zu sexueller Gewalt und Belästigung von Frauen in der Kirche notwendig. Auch wenn einige Kirchenvertreter inzwischen "diese Art der Sünde der Kirche erkannt haben könnten", werde es sicher noch ein langer Weg sein, bis sich in der Praxis etwas ändere.
Im Gespräch mit der "Austria Presse Agentur" (APA) in Rom betonte Wagner, sie habe keine großen Erwartungen, dass es bei dem Vatikantreffen zu Fortschritten in Sachen Missbrauchsbekämpfung komme. "Das, was den Unterschied machen kann, ist die Rolle der Opfer, die jetzt selbstbewusster auftreten", meinte sie.
Collins: "Was ist Null-Toleranz für den Papst?"
Wenig hoffnungsvoll zu den möglichen Ergebnissen der Vatikankonferenz äußerte sich auch die Irin Marie Collins, Betroffene von Missbrauch, Sprecherin von Opfern und 2017 zurückgetretenes Mitglied der Päpstlichen Kinderschutzkommission. "Ich bin nicht sehr optimistisch. Aber die Konferenz hat das Potenzial, zu einem Wendepunkt zu werden, wenn die Teilnehmer die Chance ergreifen", sagte sie im Interview der "Wiener Zeitung" (Mittwoch). Zu viele Kirchenverantwortliche aber sähen in Opfern, die sich zu Wort melden, Feinde der Kirche.
Sie sehen nicht, dass ihnen Respekt entgegengebracht würde, wenn sie das Thema endlich konsequent angehen.
Es brauche eine in der gesamten Kirche verankerte Definition davon, was genau unter sexuellem Missbrauch zu verstehen ist. Dasselbe gelte für die Konsequenzen der Taten, erklärte Collins. Sie fordert:
Franziskus verspricht 'null Toleranz'. Die Öffentlichkeit versteht darunter die Entlassung von Priestern aus dem Priesterstand, sobald sie als Täter überführt sind. Was aber verstehen die Bischöfe oder der Papst genau unter dieser Formel? Das Ergebnis muss im Kirchenrecht festgeschrieben werden.
Collins beklagte, dass es in der Kirche noch immer kein einheitliches Vorgehen bei Missbrauchsfällen gebe. "Immer noch hängt alles vom lokalen Bischof ab und von seinem Willen zur Aufklärung", sagte sie:
Kulturelle Vorstellungen und Gebräuche können unterschiedlich sein, aber das Wohl des Kindes muss immer Vorrang haben. Alle Kinder auf der Welt haben das Recht auf dieselbe Sicherheit.
Quelle: kathpress