Wiener Religionssoziologe Zulehner:
Kirchlicher Kinderschutzgipfel wichtiger erster Schritt
Wiener Religionssoziologe Zulehner:
Kirchlicher Kinderschutzgipfel wichtiger erster Schritt
Der am Donnerstag beginnende Kinderschutzgipfel im Vatikan, bei dem Papst Franziskus mit den Bischöfen aus aller Welt eine Antwort auf das Problem des sexuellen Missbrauchs in der Kirche sucht, kann laut den Worten des Wiener Pastoraltheologen Paul M. Zulehner ein erster Schritt für einen Wandel auf allen Kirchenebenen sein. Wichtig sei, bei dem Treffen "die ganze Weltkirche auf gleichen Diskussionsstand zu bringen und von ihr ein klares Bekenntnis zu erwirken, auf die Opfer zu hören und ihnen Glauben zu schenken", erklärte der emeritierte Wiener Universitätsprofessor am Dienstag im Interview mit "Kathpress".
Der sexuelle Missbrauch in der Kirche sei zwar eine Wunde, die auch Papst Franziskus nicht gänzlich heilen könne. "Er tut aber alles, dass am Anfang der Therapie die richtige Diagnose steht", befand Zulehner. Sehr erfolgreich gelinge es dem Papst, in verschiedensten ungelösten Fragen - außer bei Pädophilie und Missbrauch treffe dies auch im Bereich des Priestermangels und der Ehescheidungen zu - "Prozesse der Heilung auszulösen und diese auch strukturell zu verankern. Denn es braucht neben gutem Willen ebenso Strukturveränderungen, da neue und bessere Strukturen ein wichtiges Mittel der Prävention sind." Dazu gehöre auch die Verschärfung von Kirchenstrafen für Missbrauch.
Die in jüngsten Tagen von mehreren Kardinälen laut überlegte Gewaltenteilung bezeichnete Zulehner als eine "Uraltforderung" der Theologie, zu der es keine Alternative gebe. "Die Kirche muss von den Erfahrungen der modernen Demokratie lernen, die Machtkonzentration in den Ämtern auflösen und Verantwortliche auch Rechenschaft für ihr Tun ablegen lassen." Unabhängige Schiedsgerichte, welche auch die Wiener Diözesansynode bereits verlangt habe, seien eine Möglichkeit dafür.
Denn verbleibt die Gerichtsbarkeit innerhalb der Hierarchie, wird immer nur auf die nächste Ebene verschoben, und etwa eine Visitation angeordnet. Doch wie wir aus der Erfahrung wissen, hackt eine Krähe der anderen kein Auge aus; man scheut sich davor, wechselseitig auf die dunklen Seiten hinzuweisen.
Fokus auf Priesterausbildung
Als entscheidenden Hebel für die Prävention von Missbrauch in der Kirche bezeichnete Zulehner den vermehrten Fokus auf die psychologische Reife von Priesteranwärtern. "Wenn die Kirche schon ehelose Priester will, so muss sie mit allen Kräften die Entwicklung der psychosexuellen Reife in der Seminarzeit fördern." Zu diskutieren gelte es dabei u.a., "ob die Männergesellschaft im Priesterseminar der optimale Ort für diesen Reifungsprozess ist", bemerkte der Pastoraltheologe. Er selbst habe in seiner Zeit als Kaplan und Subregens des Wiener Priesterseminars in den 1960er-Jahren gute Erfahrungen gemacht mit einem psychologischen Screening für Priesterkandidaten vor der Weihe, das dann allerdings wieder abgeschafft wurde.
Hintergrund dieser Forderung sei ein problematisches Verhältnis zu Sexualität, das die moderne Gesellschaft als Ganzes betreffe, betonte der Wiener Theologe.
Wurde psychosexuelle Reifung früher durch Sexualneurotik behindert, so ergibt sich heute derselbe Effekt durch die weitgehende Abkoppelung von Lust und Beziehung. Die Frage, wie heute junge Menschen sexuelle Reife erlangen, kommt in unserem kulturpädagogischen Nachdenken allgemein viel zu kurz.
Neues Priesterbild
Ändern müsse sich laut Zulehner auch die Vorstellung, was ein Priester sei. Den blinden Vertrauensvorschuss gegenüber Geistlichen sollte man "zumindest auf das Normalmaß reduzieren", ein neues Priesterbild sei angebracht. "Das Priesteramt sollte entmythologisiert werden. Von einer aus dem heidnisch-archaischen Raum stammenden Symbolik müssen wir uns verabschieden und das Amt als vernünftiges Dienen an der Gemeinschaft der Kirche verstehen. Das würde sicherstellen, dass man auf der Spur des Evangeliums ist", so der Theologe.
Bei Ordensfrauen, die tendenziell eher zum Opfer eines "Ungleichgewichts der Macht zwischen Frauen und Männern" würden, befürwortete Zulehner die Einrichtung einer "Notrufnummer an den eigenen Oberinnen vorbei, die für jede Ordensfrau frei zugänglich ist". Auch im Noviziat gelte es, die eigenen erotisch-sexuellen Bedürfnisse zu thematisieren, um Ordensfrauen zu schützen vor dem Schlittern in Liebesbeziehungen, in denen dann bei ebenso unreifen wie gnadenlosen Männern vorhandene "dunkle Geister geweckt" werden könnten. Für die Beurteilung entsprechender Vorfälle riet Zulehner zudem auch zum Blick auf die Vorgeschichte:
Wenn ich als erwachsene Frau mit einem Pater vorher drei Jahre lang Liebesbriefe wechsle, ist die Lage anders, als wenn etwas mit Gewalt aus heiterem Himmel geschieht.
Fortschritte dank Causa Groer
Österreich sah Zulehner in einer "Vorreiterrolle" in Sachen Missbrauchs-Aufarbeitung, was besonders eine Folge der "Causa Groer" sei. "Unsere Kirche ist der Weltkirche mindestens zehn Jahre voraus und hat gelernt, dass Transparenz, Prävention, unabhängige Aufarbeitung von Ursachen, Kooperation mit staatlichen Gerichten und Entschädigungen der einzig mögliche Weg ist", befand der Theologe. Dass sich die Klasnic-Opferschutzkommission dabei als zentraler Akteur bewährt habe, sei vor allem deren Unabhängigkeit zu verdanken. Er selbst sei einst zur Mitwirkung in der Kommission angefragt worden, hätte aufgrund seiner Bedenken hinsichtlich der Präsenz eines Klerikers jedoch abgelehnt, berichtete Zulehner. "Eine Anstellung in der Kirche ist keine sehr gute Voraussetzung für die Aufarbeitung von Missbrauch."
Doch auch in der Alpenrepublik sei weiter viel zu tun, unter anderem in der Prävention: "In der kirchlichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen - auch in Schulen, Internaten bis hin zu Pfarren und Jungschargruppen - sollte die Teamarbeit zum Normalfall und Supervision verpflichtend werden. Das hilft dabei, die latent immer vorhandenen erotisch-sexuellen Bedürfnisse, die in dieser Tätigkeit geweckt werden, wahrzunehmen und zu sublimieren", riet Zulehner. Das werde zwar einiges kosten, aber: "Der Kirche muss diese Frage viel wert sein."
Quelle: kathpress