"Wird die 'Weltmuttersprache Mitgefühl' weiter gesprochen?"
Trotz manch besorgniserregender Entwicklung im Blick auf das soziale Klima im Land blickt Kardinal Christoph Schönborn zuversichtlich auf das Jahr 2019: "In unserem Land ist der Grundwasserspiegel des Mitgefühls nicht abgesunken", stellte der Wiener Erzbischof in seiner traditionellen Silvesteransprache im ORF-Fernsehen am Montagabend fest. Zugleich mahnte er jedoch, die "Weltmuttersprache Mitgefühl" im Land auch weiterhin zu bewahren:
Die Frage ist: Wird diese Weltmuttersprache in unserem Land weiter gesprochen werden? Denn man kann sie verlernen.
Sorgen würden ihm etwa die Menge an Hasspostings machen sowie Verschiebungen im gesellschaftlichen Diskurs:
Wenn ich sehe, dass Menschen, die Mindestsicherung brauchen, in den Verdacht des Sozialschmarotzertums geraten, dann macht mir das Sorge.
Die Frage, wie es weiter gehe mit dem sozialen Frieden im Land sei schließlich offen: "Wird es einen Klimawandel geben? Wird das soziale Klima härter, kälter, rücksichtsloser?"
Wortlaut der Ansprache |
Ein großes Gedenkjahr geht zu Ende: 1918 - 100 Jahre Ende des Ersten Weltkrieges; ein sinnloses Völkermorden, das Millionen Menschen den Tod gebracht hat und das als giftige Früchte den Sowjetkommunismus und den Nationalsozialismus hervorgebracht hat. 2018 - 80 Jahre Einmarsch Hitlers in Österreich. Innerhalb kürzester Zeit wurden viele Menschen verhaftet und großes Leid und Elend über unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger gebracht. 2018 - 100 Jahre Republik Österreich. Nach dem Ersten Weltkrieg glaubten viele nicht, dass es möglich ist, dass dieses kleine Land für sich bestehen kann, das heute unsere Heimat ist. Und doch: Dieses Land lebt. Und ich würde sogar sagen: Es ist ein gesegnetes Land. 2018 - ein Gedenkjahr: Das Ende des Ersten Weltkrieges, die Gründung der Republik und 80 Jahre Anschluss an Nazi-Deutschland mit all den Konsequenzen des Zweiten Weltkrieges. Nach dem Krieg dann der Wiederaufbau und eine unvergleichliche Periode des sozialen Friedens, des Miteinander und des Wohlstands. Wie wird 2019 sein? Wie wird es weitergehen mit dem sozialen Frieden in unserem Land? Wird es einen klimawandel geben? Wird das soziale Klima härter, kälter, rücksichtsloser? Am 12. März 2018 hat André Heller in seiner Rede zum 80-Jahr-Gedenken des Anschlusses an Hitler-Deutschland ein Wort geprägt, das ich seither oft wiederholt habe, weil es mich so beeindruckt hat. Er hat von den vielen Sprachen gesprochen, die die Menschen heute sprechen - auch in unserem Land. Und er hat gesagt: Es gibt eine 'Weltmuttersprache Mitgefühl'. Dieses Sprache brauchen wir nicht zu lernen. Die können wir; sie ist uns angeboren. Beobachten Sie eine Mutter, wie sie ihr Kind anschaut: Das ist die Sprache des Herzens. Das ist die Sprache des Mitgefühls. Die Frage ist: Wird diese Weltmuttersprache in unserem Land weiter gesprochen werden? Denn man kann sie verlernen. Wenn ich etwa denke, wie die Hasspostings in unserem Land zunehmen, dann macht mir das Sorge. Wenn ich sehe, dass Menschen, die Mindestsicherung brauchen, in den Verdacht des Sozialschmarotzertums geraten, dann macht mir das Sorge. Dennoch bin ich zuversichtlich: In unserem Land ist der Grundwasserspiegel des Mitgefühls nicht abgesunken. Es gibt so viele gute Initiativen in der Zivilgesellschaft, in der Kirche, in den Pfarrgemeinden. So viele Menschen nehmen sich Zeit für andere, um für sie da zu sein, um ihr Mitgefühl zu leben. Solange diese Weltmuttersprache bei uns eine vertraute Sprache ist, bin ich zuversichtlich. Aber wir müssen das Unsere dazu beitragen. Und erinnern wir uns immer daran: Mitgefühl bekommen wir vor allem von Gott selber. Gott hat noch viel mehr Mitgefühl mit uns als wir je füreinander aufbringen. Und das gibt mir Zuversicht, dass im Jahr 2019 und in den kommenden Jahren in unserem Land das Miteinander, das Mitgefühl, das Füreinander stärker sein wird als alle Versuchungen von Hass, gesellschaftlicher Spaltung und Gegeneinander. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gutes, ein gesegnetes, ein erfolgreiches Jahr 2019 |
Trotz dieser Fragen blicke er zuversichtlich in die Zukunft: "Es gibt so viele gute Initiativen in der Zivilgesellschaft, in der Kirche, in den Pfarrgemeinden. So viele Menschen nehmen sich Zeit für andere, um für sie da zu sein, um ihr Mitgefühl zu leben. Solange diese Weltmuttersprache bei uns eine vertraute Sprache ist, bin ich zuversichtlich."
Schönborn bezog sich mit seiner Formulierung auf André Heller, der in seiner Rede am 12. März 2018 zum 80-Jahr-Gedenken des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich von einer "Weltmuttersprache Mitgefühl" gesprochen hatte.
"Es ist ein gesegnetes Land"
In seiner Ansprache blickte Schönborn auch auf das Gedenkjahr 2018 zurück. Dabei rief er insbesondere drei Bezüge in Erinnerung: Das Gedenken an 1918 und das Ende des Ersten Weltkrieges mit seinem "sinnlosen Völkermorden" und den "giftigen Früchten" des Sowjetkommunismus und des Nationalsozialismus; das Gedenken an den Einmarsch Hitlers in Österreich vor 80 Jahren - ein Ereignis, das innerhalb kürzester Zeit "großes Leid und Elend über unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger gebracht" habe.
Schließlich blickte Schönborn auch auf das Gedenken an den 100. Jahrestag der Gründung der Republik Österreich zurück:
Nach dem Ersten Weltkrieg glaubten viele nicht, dass es möglich ist, dass dieses kleine Land für sich bestehen kann, das heute unsere Heimat ist. Und doch: Dieses Land lebt; und ich würde sogar sagen: Es ist ein gesegnetes Land.
Quelle: kathpress