Migration: Wiener Theologen debattieren Umgang mit Flüchtlingen
Wie weit reicht das christliche Gebot der Nächstenliebe im Blick auf den Umgang mit Flüchtlingen und Migranten? Gibt es biblische Gründe nicht allen Menschen helfen zu können oder zu müssen? Fragen wie diese werden auch innerhalb der Theologie unterschiedlich bewertet und diskutiert. Das zeigt eine Positionsbestimmung der Wiener Pastoraltheologin Regina Polak und des Wiener Bibelwissenschaftlers Ludger Schwienhorst-Schönberger in der aktuellen Ausgabe der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag". Beide treffen zu dem Thema auch am kommenden Montag, 26. November, im Zuge einer neuen, von Wiener Theologie-Studierenden initiierten Reihe "Theologie im Gespräch" aufeinander (Ort: Wiener Priesterseminar, Beginn: 18 Uhr).
Angesichts von Millionen Menschen in Flüchtlingslagern rund um Europa müssten sowohl Staaten als auch Christen handeln, so Polak, die im Interview anmerkte, dass die Katholische Kirche zugleich beide Seiten "in die Pflicht" nehme: Die Aufgabe der Staaten bestehe darin "Migration als Tatsache" anerkennen und gleichzeitig Ursachen von Migration und Flucht zu reduzieren. Flüchtlinge, Migranten, Menschen unterwegs und die ortsansässige Bevölkerung seien "eine einzige Familie", so Polak. Aus der biblischen Botschaft "der Einheit der Menschheit" ergebe sich das Gebot der "universalen Nächstenliebe". Aus diesem Grund dürften "Solidarität und Nächstenliebe keinen Einzelnen, keine Kultur und kein Volk ausschließen", so die Pastoraltheologin.
Dem stimmte Schwienhorst-Schönberger zwar zu, denn "Liebe als Gesinnung" gelte für "alle Menschen in gleicher Weise", er unterschied aber bei der konkreten Hilfe: "Liebe als Tat" würde zwischen "dem Nahen, dem Näheren und dem Nächsten" differenzieren. Wie beim barmherzigen Samariter sollte sich die Hilfsbereitschaft nicht auf die eigenen Angehörigen beschränken, aber dort ankommen, wo die Hilfe am meisten benötigt werde. Das bedeute trotzdem nicht, dass man "unterschiedslos" helfen solle oder könne, so der Bibelwissenschaftler: "Jesus hat vielen geholfen, aber nicht allen".
Attraktiv mache Europa für viele Migranten die Verbindung von Recht, Ordnung, Freiheit, Friede und wirtschaftlichem Wohlstand. Dies seien "kulturelle Errungenschaften, die wir nicht für uns behalten sollten", so der Theologe weiter. Zugleich empfiehlt Schwienhorst-Schönberger aus dieser Einsicht heraus Hilfsleistungen auch im Blick auf die Errichtung funktionierender Rechtssysteme in den Herkunftsländern zu neu auszurichten: "Vielleicht sollten wir in Zukunft verstärkt Hilfen anbieten, rechtsstaatliche Ordnungen zu etablieren." Schließlich wisse bereits die Bibel "um die zivilisatorische Errungenschaft des Rechtsstaates".
Papst und Kirche als Vorreiter
Gleicher Meinung waren beide Theologen bei der politischen und gesellschaftlichen Dimension der Nächstenliebe: Man brauche rechtliche und politische Maßnahmen, so Polak, aber genauso einen Aufbau gesellschaftlicher Verhältnisse und eine "Formung mentaler Einstellungen", meinte Schwienhorst-Schönberger. Übereinstimmung gab es auch im Blick auf den Stellenwert der Katholischen Soziallehre und die Vorbildwirkung von Papst Franziskus.
Vor einer moralischen Überforderung warnt Schwienhorst-Schönberger indes im Blick auf das hohe Engagement zahlreicher Katholiken in der Flüchtlingshilfe: Gerade die Theologie dürfe diesen Menschen keine "Lasten auflegen, die sie gar nicht tragen können". Ein Ausweg könnte eine "differenzierte Kenntnis ethischer Argumentationen" und eine "ausgewogene Sicht der biblischen Tradition" darstellen, hoffte der Bibelwissenschaftler.
Theologie im Gespräch
Initiiert wird die neue Gesprächsreihe "My side - Your side: Theologie im Gespräch" gemeinsam von der Fakultätsvertretung, den Priesterseminaren der Diözesen Wien, Eisenstadt und St. Pölten und dem Zentrum für Theologiestudierende. Ziel der Reihe ist es, "über Ansichten von Professoren der unterschiedlichen Lehrstühle zu diskutieren und sich auszutauschen", heißt es dazu seitens der Initiatoren. "Professoren der unterschiedlichen Lehrstühle forschen oft zu ähnlichen Themen aus ihrem jeweiligen (theologischen) Blickwinkel. Trotzdem müssen die unterschiedlichen Meinungen keine Mauern zwischen den Menschen bauen, sondern können zu spannenden Diskussionen führen", teilen die Veranstalter auf einer eigens eingerichteten Facebook-Seite der Veranstaltungsreihe mit (www.facebook.com/theologieimgespraech).
Quelle: kathpress