Ratzinger-Preisträgerin: Theologie ist mehr als nur Stubenarbeit
Theologie ist keine weltfremde Wissenschaft, sondern versucht Menschen zu einer tieferen Beziehung mit Gott zu helfen. Das hat die am Wochenende im Vatikan mit dem als "Nobelpreis der Theologie" bekannten diesjährigen Ratzinger-Preis ausgezeichnete Wiener Theologin Marianne Schlosser betont. Theologie als Verbindung von Denken und Glauben sei keinesfalls "private Stubengelehrsamkeit, sondern ein Dienst im und am Volk Gottes". "Wenn christlicher Glaube persönliche Beziehung zum dreifaltigen Gott ist, dann ist es Aufgabe der Theologie, auch andere darin zu stützen", so Schlosser.
Die 58-jährige Vorständin des Wiener Instituts für Theologie der Spiritualität ist nach der Französin Anne-Marie Pelletier die zweite Frau, die den mit 50.000 Euro dotierten Preis der "Joseph Ratzinger-Benedikt XVI.-Stiftung" erhalten hat.
Die Auszeichnung sei für sie eine "große Überraschung" gewesen, sagte Schlosser in einem Interview dem vatikanischen Nachrichtenportal "Vatican News" (Montag). Den emeritierten Papst Benedikt XVI. bezeichnete sie darin als "ein großes Vorbild". Als Theologe vereine Joseph Ratzinger eine außergewöhnliche Sensibilität für die heutigen Herausforderungen an den Glauben mit einer umfassenden Kenntnis der Theologiegeschichte. Beides zusammen befähige ihn zu einem "klaren und differenzierten Urteil". Ratzinger verkörpere gewissermaßen das Ideal dessen, was Johannes Paul II. "schöpferische Treue" genannt habe. "Wenn man die Glaubensgrundlagen sehr gut kennt, dann kann man auch schöpferisch die Flügel ausspannen und fliegen."
Je länger sich sich mit Ratzingers Werk befasse, desto moderner komme ihr dessen Grundaussage vor, so die Theologin weiter:
Joseph Ratzinger ist jemand, der schon vor 50 Jahren, als seine 'Einführung des Christentums' erschien, ein ganz feines Gespür für die Herausforderungen von Gläubigkeit und Glauben in unserer Gegenwart hatte.
Ähnlich hatte sich Schlosser bereits am Samstag in ihren Dankesworten bei der festlichen Preisverleihung mit Papst Franziskus in der Sala Clementina im Vatikan geäußert. Der langjährige Kurienkardinal Angelo Amato hob in seiner Würdigung Schlossers vor allem die Hebung und Vermittlung von Quellen der christlichen Spiritualität, auf der Basis exzellenter Kenntnisse der patristischen und mittelalterlichen Theologie hervor. Amato verwies dazu u.a. auf Schlossers Monographien über Bonaventura (1221-1274) und Caterina von Siena (1347-1380), über das christliche Gebet und den Begriff der Prophetie.
Papst Franziskus würdigte bei dem Festakt den Beitrag von Frauen für die wissenschaftliche Theologie: "Seit Paul VI. Teresa von Avila und Katharina von Siena zu Kirchenlehrerinnen ernannte, darf kein Zweifel mehr daran bestehen, dass Frauen die höchsten Stufen der Glaubensweisheit erreichen können", sagte Franziskus. Lange Zeit sei wissenschaftliche Theologie dem Klerus vorbehalten gewesen, bedauerte der Papst. Das ändere sich nun. Es sei wichtig, die theologische Arbeit von Frauen immer mehr anzuerkennen. Überhaupt sei es notwendig, dass der Beitrag "der zunehmend weiblichen Präsenz in Verantwortungspositionen der Kirche - besonders, aber nicht nur im kulturellen Bereich - gefördert und ausgebaut wird".
An der Feier nahmen zahlreiche Kardinäle sowie Vertretern von Universitäten und Repräsentanten des öffentlichen Lebens teil. Unter ihnen war auch Österreichs neue Botschafterin beim Heiligen Stuhl, Franziska Honsowitz-Friessnigg.
Die aus Bayern stammende Marianne Schlosser leitet seit 2004 das Institut für Theologie der Spiritualität an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. 2014 wurde sie von Papst Franziskus zum Mitglied der Internationalen Theologischen Kommission ernannt. Die Theologin gehört auch der 2016 vom Papst einberufenen Kommission zur Geschichte des Frauendiakonats an. Schlosser ist Mitglied der Theologischen Kommission der Österreichischen Bischofskonferenz und Beraterin der Glaubenskommission der Deutschen Bischofskonferenz.
Zweiter Ratzinger-Preisträger war heuer der Schweizer Architekt Mario Botta (75). Er wurde für die theologische Dimension seiner Ästhetik ausgezeichnet. Botta hat rund 20 Sakralbauten entworfen, darunter die Cymbalista-Synagoge in Tel Aviv und eine Moschee in China. Zu den bekanntesten sakralen Bauten Bottas gehört die Kirche "Johannes der Täufer" in Mogno im Tessin.
Quelle: kathpress