Judentum: Benedikt XVI. korrespondiert mit Wiener Oberrabbiner
Und wieder meldet sich der emeritierte Papst Benedikt XVI./Joseph Ratzinger zum interreligiösen Dialog mit dem Judentum zu Wort: diesmal in Form eines Briefwechsels mit dem Wiener Oberrabbiner Arie Folger, den die Zeitschrift "Communio" am Mittwoch auf ihrer Website veröffentlicht hat. Der Briefwechsel kam als Reaktion auf einen Beitrag Benedikts XVI. Anfang Juli zustande, der ebenfalls in der "Communio" publiziert wurde. In dem Text, der zahlreiche, auch kritische Reaktionen hervorrief, hatte der emeritierte Papst eine Reflexion auf die nachkonziliare Absage an die sogenannte "Substitutionstheorie" und die Rede vom "nie gekündigten Bund" vorgelegt.
Der Wiener Oberrabbiner Folger hatte daraufhin in einem Beitrag in der "Jüdischen Allgemeinen" eine "Einordnung aus rabbinischer Sicht" veröffentlicht. Auf diesen Text hatte in einem persönlichen Brief Benedikt XVI. geantwortet - die letzte Antwort Rabbi Folgers folgte dann Anfang September. Die nun von der "Communio" unter deren Schriftleiter, dem Wiener Theologen Jan-Heiner Tück, veröffentlichte Korrespondenz zeige, "dass der christliche Traktat 'De Iudaeis' nur gewinnen kann, wenn er für das Gespräch 'cum Iudaeis' offen ist", schreibt Tück in einem Vorwort.
In seinem auf den 23. August datierten Brief an Rabbi Folger hält Benedikt XVI. fest, dass die Auseinandersetzung über die essentielle Frage, ob die hebräische Bibel auf die Person Jesu hin auszulegen sei, von christlicher Seite her "häufig oder fast immer nicht in der gebotenen Ehrfurcht für die andere Seite geführt" worden sei. Statt dessen habe sich "die traurige Geschichte des christlichen Antisemitismus gebildet, die schließlich in den antichristlichen Antijudaismus der Nazis mündet und mit Auschwitz als traurigem Höhepunkt vor uns steht". Tatsächlich müsse der Dialog konstruktiv weitergeführt werden - obgleich er "nach menschlicher Voraussicht" wohl "nie zu einer Einheit der beiden Interpretationen führen" werde. Dies, so Benedikt XVI., sei "die Sache Gottes am Ende der Geschichte". "Inzwischen bleibt es beiden Seiten aufgetragen, um die rechte Erkenntnis zu ringen und die Auffassung der je anderen Seite ehrfürchtig zu bedenken".
Gemeinsamer Blick auf "Hoffnungsgestalten"
Ein Dreh- und Angelpunkt für ein solches wertschätzendes Verständnis sei laut Benedikt etwa die Gestalt des Mose, von dem es heißt, er habe "mit dem Herrn wie ein Freund" gesprochen. Daraus ergebe sich eine christliche Anschlussfähigkeit, so Benedikt XVI.:
Jesus von Nazareth erscheint uns Christen als die zentrale Hoffnungsgestalt, weil er mit Gott auf Du und Du steht. Von dieser neuen Sicht her erscheint die Zeit der Kirche nicht als Zeit einer schon endgültig erlösten Welt, sondern die Zeit der Kirche ist für die Christen das, was für Israel die vierzig Wüstenjahre waren.
Im Blick auf den heutigen Staat Israel hält Benedikt fest, dass dieser ein säkularer Staat sei, "der freilich durchaus religiöse Grundlagen hat". Die Entwicklung der Idee eines säkularen Staates an sich sei gar "wesentlich auch jüdischem Denken zu verdanken, wobei säkular nicht antireligiös bedeutet". Insofern könne man in der Entstehung des säkularen Staates Israel gar "auf eine geheimnisvolle Weise die Treue Gottes zu Israel erkennen".
Luther als Dialog-Gegenstand
Als ein weiteres Thema für den künftigen Dialog zwischen Christen und Juden bezeichnete Benedikt XVI. schließlich die Figur Martin Luthers, dessen "antijudaistisches Denken" in der Folge einen "pseudoreligiösen Markionismus" hervorgebracht habe: "Mir scheint, dass gerade in diesem Punkt wichtige Möglichkeiten für ein erneuertes Gespräch mit dem Judentum liegen".
In seinem auf den 4. September datierten Antwortschreiben betonte der Wiener Oberrabbiner Arie Folger, dass der Brief Benedikts Thesen enthalte, "die im jüdisch-christlichen Dialog tatsächlich ein Wegweiser sein können". "Volles Einverständnis" äußerte Folger dazu, dass er und Benedikt Juden wie Katholiken heute aufgerufen sehe, "sich zusammen für den Erhalt der moralischen Standards im Westen einzusetzen". Wenn der Westen "immer säkularer" werde und dabei eine Mehrheit "zunehmend intolerant gegenüber Religionen" werde, so könne man dies als Auftrag sehen, "öfter zusammen auf(zu)treten", so Folger. "Gemeinsam können wir viel stärker sein, als vereinzelt". Auch gebe es "gemeinsame Werte" und eine beiderseitige Wertschätzung für die hebräische Bibel:
Auch wenn wir mehrere Stellen anders interpretieren, haben wir hier ein gemeinsames Fundament.
Dankbar zeigte sich Folger auch über die Deutung des Status' des Staates Israel durch Benedikt XVI.: Indem er im säkularen Staat ein Zeichen für den Fortbestand des Bundes zwischen Gott und dem Volk Israel sehe, sei "die Distanz zwischen unseren jeweiligen Positionen sicher kleiner geworden", räumte der Oberrabbiner ein. Tatsächlich sei Israel ein säkularer Staat, doch gerade für die Rückkehr der Juden aus aller Welt nach Israel sei die Vorstellung Zions "religiös nicht unbedeutend". Weitere Gespräche über den Status' Israels seien derzeit mit Kardinal Kurt Koch in der Planung, informierte Folger bei der Gelegenheit.
Beharren auf "ungekündigtem Bund"
Abschließend unterstreicht Folger in seinem Brief jedoch noch einmal, wie wichtig aus jüdischer Sicht eine deutliche Betonung des "ungekündigten Bundes" zwischen Gott und dem Volk Israel sei. In diesem Punkt hatte Benedikt XVI. in seinem "Communio"-Text im Juli unterstrichen, dass die Formel vom "nie gekündigten Bund" zwar in einer ersten Dialog-Phase hilfreich gewesen sein mag, der Begriff aber noch weiterer Klärungen bedarf, etwa, weil er sich nicht in der theologischen Begriffswelt des Alten Testaments wiederfinde - auch die damit verbundene Vorstellung eines Vertrags auf Augenhöhe entspreche nicht der biblischen Theologie, so Benedikt damals.
Dagegen beharrt Folger in seinem Brief auf der weiterhin bestehenden Notwendigkeit dieser Rede vom ungekündigten Bund - sie sei vor allem wichtig "für die Bekämpfung des Antisemitismus": "In vergangenen Jahrhunderten haben manche Christen viel Leid, das Juden angetan wurde, eben mit der These des doch gekündigten Bundes gerechtfertigt", so Folger. Aufgrund der Geschichte des christlichen Antisemitismus und des damit verbundenen Leidens bitte er daher darum, die These vom ungekündigten Bund kirchlicherseits "zu stärken". "Es würde uns Juden viel bedeuten, zusammen mit Ihrer These, dass die Kirche nie eine Substitution des jüdischen Volkes beanspruchen durfte, auch anerkannt zu sehen, dass in bestimmten Zeiten viele Christen dennoch an einer Substitutionstheorie - also gegen die reine Lehre der Kirche - festhielten und unzähliges Leid damit rechtfertigten", so Folger abschließend.
Der Briefwechsel sowie der Text "Gnade und Berufung ohne Reue. Anmerkungen zum Traktat 'De Iudaeis'", auf den sich der Dialog bezieht, kann unter www.communio.de abgerufen werden.
Quelle: kathpress