Heute eher ökologische als militärische Gefahren
Die größten Gefahren für den Weltfrieden und überhaupt für das Fortbestehen der Menschheit haben heute eher ökologische als militärische Ursachen. Darauf wies der Initiator des Alternativen Nobelpreises, Jakob von Uexküll, beim "Pfingstdialog 2015" im Rahmen der Reihe "Geist & Gegenwart" im kirchlichen Bildungszentrum Schloss Seggau in der Südsteiermark hin. Der Klimawandel sei eine politisch noch weithin unterschätzte Bedrohung, die gerade Europa zum Gegensteuern verpflichte. Denn der welthistorisch lange Zeit dominante Kontinent lebte bisher auf Kosten anderer Regionen, wies der frühere Abgeordnete zum Europäischen Parlament bei der Tagung unter dem Titel "Europa.wertvoll" hin.
Das Ziel, die Erderwärmung auf plus zwei Grad zu begrenzen, sei aus heutiger Sicht nicht mehr realisierbar, sagte Uexküll. Bei plus vier Grad sei eine Anpassung der Ökosysteme jedoch nicht mehr möglich, dies bedeute eine die Menschheit insgesamt bedrohende Katastrophe. Wir befänden uns somit in einer geschichtlichen Situation, in der Entscheidungen für Tausende Generationen nach uns fallen, so der 70-jährige gebürtige Schwede, der in London lebt. Es bedürfe weitreichender Änderungen im Lebensstil der westlichen Zivilisation - auf politischer, wirtschaftlicher, rechtlicher und auch individueller Ebene. Europa steht laut Uexküll vor einer historisch einmaligen Herausforderung, die alle vor die Frage stelle: Wollen wir ein Teil des Problems oder ein Teil der Lösung sein?
Die von Uexküll genannten erforderlichen Maßnahmen sind u.a. eine völlige Umstellung auf erneuerbare Energiequellen, die Abkehr von Produktionsformen, die auf Kosten der Um- und Nachwelt gehen, das Vorgehen gegen Ökoverbrechen und breit angelegte Bewusstseinsbildung unter Wirtschaftstreibenden und Konsumenten. Als Positivbeispiel nannte er die in Ungarn eingeführte - und mittlerweile wieder abgeschaffte - Instanz eines Ombudsmannes für nachkommende Generationen, der die Zukunft bedrohende Gesetze blockieren konnte. Derart hochentwickelte demokratische Regularien seien jedoch bisher höchst selten, die Langzeitdemokratie USA sei z.B. derzeit eher eine Oligarchie, weil die Politik dort mehr ihren Geldgebern als den Wählern verpflichtet sei, so Uexküll.
Demokratie im Überlebenskampf zweitrangig
Es brauche aber dringend ein neues Verständnis für Risikohierarchien, denn der Klimawandel sei eine ungleich höhere Gefahr als etwa iranische Atomwaffen. Wenn es um das Überleben geht, sind Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nachrangig, warnte der Gründer des World Future Councils. Auch nach Einschätzung ernstzunehmender Ökonomen wie Michel Camdessus sei Europa heute am meisten durch Afrika bedroht: Glaubhafte Szenarien gingen von Flüchtlingsströmen von bis zu 200 Millionen Menschen nach Europa aus, wenn dort - wie derzeit absehbar - immer größere Gebiete wegen der Umweltzerstörung unbewohnbar werden.
Uexküll traut Europa trotz dieser Bedrohungen zu, die erforderlichen Weichenstellungen vorzunehmen. Der Kontinent sei immerhin Schauplatz der "historischen Einmaligkeit", dass allen Konflikten und Kriegen zum Trotz ein Aufbau von Demokratien gelang, die von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit geprägt sind. Faschismus und Nationalsozialismus hätten die Brüchigkeit dieser Errungenschaften aufgezeigt, doch nach der Überwindung dieser Gewaltideologien sei der Einsatz für tragfähige Alternativen umso konsequenter erfolgt und ein stabiles Friedensprojekt Europa etabliert worden.
Er habe vor diesem Hintergrund die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union für durchaus passend erachtet und sei "schockiert" über manch zynischen Kommentar darüber gewesen, berichtete Uexküll. Kein Verständnis habe er für die "Hetze gegen die EU", die z.B. in seiner derzeitigen Heimat Großbritannien geradezu "groteske" Ausmaße angenommen habe.
Welche Werte tragen Europa?
In seinem Begrüßungsworten am Mittwochabend betonte der Grazer Diözesanadministrator Heinrich Schnuderl (der bis zur Bischofsweihe von Wilhelm Krautwaschl die Diözese Graz-Seckau leitet), Schloss Seggau als Austragungsort des alle zwei Jahre stattfindenden "Pfingstdialogs" liege "an einer europäischen Nahtstelle". Daraus ergebe sich "die religiöse, geschichtliche und geographische Verpflichtung, der Begegnung über Grenzen hinweg, dem Dialog zur Verfügung zu stehen und zu dienen". Der Termin unmittelbar vor dem Pfingstfest erinnere ihn, so Schnuderl, an ein Wort von Kardinal König: "Die Sprache der anderen zu sprechen, ist der Sinn von Pfingsten."
Der steirische Landesrat für Wissenschaft, Christopher Drexler, kündigte für den Fall eines Erfolgs bei den kommenden Landtagswahlen an, sich für eine Fortsetzung der Dialogreihe stark zu machen. Der evangelische Superintendent Hermann Miklas verglich Europa mit einer Immobilie, deren Bausubstanz zwar wert-voll, aber womöglich nicht auf der Höhe der Zeit sei. Elisabeth Freismuth, Rektorin der Kunstuni Graz, bezeichnete Kunst als vermeintlich zweckfreien Wert jenseits ökonomischer Verwertbarkeit, die das Humanum in Europa mitsichere.
Die von Land Steiermark, Diözese Graz-Seckau und Club Alpbach Steiermark veranstaltete hochkarätige Tagung fragt noch bis Freitag nach tragenden Werten des Projekts Europa. Nach dem Impulsreferat von Uexküll am Mittwoch folgt am Donnerstagabend die deutsche Publizistin und Feministin Alice Schwarzer; das theologische Hauptreferat am Schlusstag, 22. Mai, hält der emeritierte Grazer Bischof Egon Kapellari zum Thema "Gute Religion? Böse Religion? Alte und neue Fragen der Religionskritik". Als weitere Referenten sind u.a. die Altpolitiker Erhard Busek, Franz Fischler und Heinrich Neisser vorgesehen, Wissenschaftler wie die Historiker Helmut Konrad und Stefan Karner, der Sozialethiker Leopold Neuhold, die Soziologin Edit Schlaffer oder Uni-Wien-Vizerektor Heinz Faßmann, Carla Baghajati von der Islamischen Glaubensgemeinschaft, "attac"-Mitgründer Christian Felber und die Literaten Doron Rabinovici, Julya Rabinovich und Lojze Wieser.
(Info und Programm: www.geistundgegenwart.at)