"Die Religion ist bei uns weiblich"
Frauen sind nach Ansicht des Innsbrucker Diözesanbischofs Manfred Scheuer die Säulen des kirchlichen Lebens in Österreich. "Die Religion ist in unseren Bereichen, wenn ich mir das faktische kirchliche Leben und die Glaubensweitergabe in den Familien anschaue, weiblich", betonte Scheuer in einem Interview für die Mittwoch-Ausgabe der "Tiroler Tageszeitung". Dieser Befund gelte auch für die Pfarrgemeinden und den Religionsunterricht, sagte der Tiroler Bischof, der sich in dem Interview u.a. auch gegen eine Änderung des gesetzlichen Verbots der Beihilfe zur Selbsttötung aussprach und zu den Debatten um Bettelverbote und den Umgang mit Asylwerbern Stellung nahm.
Unmittelbarer Anlass für das Gespräch war das bevorstehende Osterfest. In die Kritik von der Kommerzialisierung von Ostern wollte Bischof Scheuer nicht einsteigen. "Trotz vieler Überlagerungen und Verfremdungen bin ich überzeugt, dass die ursprüngliche Kraft von Ostern zur Geltung kommt", betonte er. Es gehe zudem nicht ausschließlich darum, wie viel Kirche an Ostern noch in den Menschen stecke, "sondern dass Menschen gut und versöhnt leben - also gläubig und solidarisch". Die Kirche sei dafür ein Werkzeug, nicht Selbstzweck, betonte der Bischof. "Ich mache mir keine Sorgen darüber, wie viel Kirche in Ostern steckt, sondern was wird verlieren und vergessen, wenn das Evangelium verloren geht oder vergessen wird."
Die katholische Kirche sieht Scheuer dabei derzeit generell in einer "Zeit der Aussaat, nicht der Ernte". "Manches wächst und manches bricht weg. Das tut weh. Mit Aussaat meine ich, dass die Kirche nicht mehr eine ganze Gruppe oder das Gros von Menschen gewinnen kann, sondern nur als Einzelne", erklärte der Bischof. Im Bereich der Jugend gebe es Ansätze einer weltweiten Solidarität, des freiwilligen Engagements und der Suche nach Gemeinschaft, so Scheuer. Dies stimme ihn mit Blick auf die Zukunft der Kirche "optimistisch", aber "nicht euphorisch".
"Neue Atmosphäre" durch Franziskus
Papst Franziskus habe in der Kirche eine "neue Atmosphäre" geschaffen. "Er spricht und tickt anders", bilanzierte der Bischof die ersten beiden Jahre des neuen Pontifikats. Die "unverbrauchte", "nicht ganz diplomatische" Sprache Franziskus' tue gut, mache den Papst jedoch auch angreifbarer, so Scheuer. "Ich hoffe, dass er seine Spontanität und Unmittelbarkeit nicht verliert." Insgesamt sei es entlastend, dass der Papst stärker von den Erfahrungen und Lebenswelten der gegenwärtigen Gesellschaft ausgehe und nicht so sehr von den Idealen. "Hinter diese Denkweise sollte man nicht zurückgehen. Franziskus sagt, ihm ist eine verwundbare Kirche lieber als eine klinisch reine, die nirgends aneckt und keine Fehler macht. Es tut gut, dass er auch Fehler machen kann."
Auch Lebensende gehört zum Leben
Zur aktuellen Sterbehilfe-Debatte lobte Scheuer den in Österreich quer durch Parteien und gesellschaftliche Gruppen bestehenden Konsens, "dass es ein Sterben in Würde geben soll und deshalb auch die Palliativmedizin sowie das Hospizwesen ausgebaut werden sollen". Die bestehende Gesetzeslage zum assistierten Suizid oder der Tötung auf Verlangen dürfe hingegen nicht verändert werden. Es sei Aufgabe des Rechts, vor allem jene zu schützen, die selbst nicht mehr zustimmungsfähig bzw. nicht mehr bei Bewusstsein sind, so Scheuer. "Es geht um diesen Rechtsschutz und die Solidarität der Gesellschaft am Ende des Lebens. Wird dieser Rechtsschutz aufgehoben, wenn auch nur in Ausnahmefällen, ist der Preis dafür ein sehr hoher." Notwendig sei vielmehr "das Bewusstsein, dass das Ende des Lebens zum Leben gehört".
Letztlich müssten bei dieser Frage auch die Grenzen der Autonomie diskutiert werden, betonte der Bischof. "Bin ich autonom, wenn ich mir selbst das Leben nehmen kann? Ein solcher Autonomiebegriff übersieht jedoch die große Not, die hinter einem Suizid steckt. Die konkrete Erfahrung zeigt zudem, dass der Trauerprozess von Angehörigen, die jemanden durch Beihilfe zu Suizid verloren haben, oft sehr dramatisch verläuft. Das darf man auch nicht vergessen."
Solidarität mit Flüchtlingen
Bei der Solidarität mit Flüchtlingen habe sich "einiges zum Positiven verändert", sagte Scheuer im TT-Interview. Eine aggressive Stimmung gegenüber Asylwerbern wie noch Anfang der 1990er-Jahre nehme er nicht wahr, auch wenn es "mühsame Arbeit" sei, Unterkünfte für Asylwerber zu schaffen. In der Unterbringungsfrage sei eine gute Kommunikation zwischen Politik, Beamten, Zivilbevölkerung und Medien nötig, um ein positives Klima zu schaffen, unterstrich der Innsbrucker Diözesanbischof. Ängste von Menschen müssten aufgegriffen werden. "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass dort wo Asylwerber aufgenommen wurden, relativ wenige Probleme aufgetreten sind. Auch an Orten, wo zuvor Widerstand spürbar war", betonte Scheuer.
Kritik am angeblich mangelnden Engagement der Kirche in der Bereitstellung von Asylunterkünfte wies Scheuer zurück. Er wolle nichts beschönigen, zahlenmäßig könnte es mehr Quartiere sein, aber, so Scheuer: "Oft war der Wille etwas zu tun stärker als die konkreten Möglichkeiten. Die Bauwerke schauen oft groß aus, doch um darin Unterkünfte für Asylwerber zu schaffen, wären große Investitionen notwendig." Die Pfarrgemeinden hätten sich sich aber angestrengt und es werde in den Pfarren viel für die Betreuung von Asylwerbern getan.
Deutliche Worte fand Bischof Scheuer zudem mit Blick auf die auch in der Tiroler Landeshauptstadt geführten Debatten um Bettelverbote. "Menschen dürfen betteln. Es ist ein Menschenrecht", betonte er. Bettelnde Menschen machten Armut sichtbar und hielten der Gesellschaft auf diese Weise einen manchmal unangenehmen Spiegel vor, erklärte Scheuer. Jeder habe aber die Freiheit etwas zu geben oder nichts zu geben, so der Bischof. "Wenn ich in dem anderen die Person entdecken kann, dann ist er für mich nicht nur ein 'Fall von Bedürftigkeit', sondern ein Mensch."