Johannes Paul II. für mich schon lange Heiliger
Den vor zehn Jahren am 2. April 2005 verstorbenen Papst Johannes Paul II. hat Bischof Egon Kapellari schon lange vor seiner Kanonisation im April 2014 als "Heiligen" gesehen: "Ich halte ihn für heilig und habe eine affektiv-spirituelle Beziehung zu ihm - wie auch zu anderen Menschen, die nicht oder noch nicht heiliggesprochen sind", erklärte der emeritierte Grazer Bischof im Interview mit "Kathpress". Johannes Paul II. sei trotz seiner "tiefen Verbindung mit der Leidensmystik als Slawe" ein besonders "österlicher Mensch" gewesen, so die Einschätzung Kapellaris.
Als persönliches Vorbild bezeichnete der Bischof Johannes Paul II. besonders wegen seines Umgangs mit Alter, Behinderung und Tod: Durch das öffentlichen Leiden habe der zuvor dynamische und sportliche Papst "in einer Welt, in der Leiden und Tod verdrängt werden" für alle ein Gegenzeichen gesetzt. Sein "unpathetischer Heroismus" weise in die Zukunft und dämme die Gefahr von Selbstmitleid oder Selbstbezogenheit ein, ohne damit gleich ein Rezept für alle Päpste vorzugeben: "Er war in der langen Papstgeschichte ein Beispiel für eine der viele Arten, Situationen und Zeiten, in denen das Petrusamt gelebt werden durfte und musste - sehr abwechslungsreich und oft komplementär im selben Leben", so Kapellari, der 23 seiner 33 Bischofsjahre im Pontifikat von Johannes Paul II. gewirkt hatte.
Seine erste Begegnung mit dem Papst aus Polen hatte Kapellari - damals noch Hochschulseelsorger - im Herbst 1981 bei einer Generalaudienz auf dem Petersplatz, begleitet von einer Studentengruppe. "Als der Papst vorbeikam, sagte ich ihm nur: 'Das sind Studenten aus Graz', und er darauf mit sonorer Stimme: 'Graz'. Dass genau zwei Wochen später an derselben Stelle das Attentat auf ihn stattfand, war erschütternd", berichtete der Bischof. Persönlich hat Kapellari sich erst kurz nach seiner Bischofsernennung am 7. Dezember 1981 - es war die erste in Österreich im damals neuen Pontifikat - beim Papst vorgestellt, gemeinsam mit dem ebenfalls kurz vorher ernannten Linzer Bischof Maximilian Aichern.
Zahlreiche weitere Treffen im Vatikan, Österreich und verschiedenen Ländern sollten während des fast 27-jährigen Pontifikats folgen, die Kapellari meist als Jugend- oder Europabeauftragter der Bischofskonferenz wahrnahm. Oft habe der Pontifex auch in schwierigen Momenten "Humor bewiesen, mit Lockerheit scheinbar verfahrene Situationen aufgegriffen, diese entkrampft und gewendet ins Positive und in Freude am Glauben - ohne die bestehenden Probleme zu leugnen", so der emeritierte Bischof. Johannes Paul II. sei Österreich freundlich verbunden gewesen, habe es auch gut gekannt, wenngleich nicht in allen Facetten - was sich in manchen Ernennungsentscheidungen niedergeschlagen habe.
Österreich als "Modell Europas"
Die drei Besuche von Johannes Paul II. in Österreich - 1983, 1988 und 1998 - hätten im Land durchaus nachhaltige Spuren hinterlassen, als "geistliche Impulse", wie Kapellari hervorhob. Kleinreden dürfe man die Wirkung dieser Ereignisse jedenfalls nicht: Papstbesuche seien als geistliche Feste "wie belebende Gewürze im Leben einer Ortskirche. Sie haben nicht die Verfassung verändert oder die bekannten heißen Eisen abgekühlt. Aber sie haben vielen Menschen - besonders solchen, die nicht öffentlich in Erscheinung treten - Ermutigung im Leben und im Glauben gegeben."
Österreich habe der polnische Papst als "Spiegel und Modell Europas" gesehen, wie er dies 1983 bei einer "Europa-Vesper" auf dem Wiener Heldenplatz auch formulierte. "In unserem territorial kleinen Österreich, das ein wichtiger Teil Europas ist, soll die große Welt eine Probe halten", deutete dies Kapellari und wies darauf hin, dass Johannes Paul II. "Europa" nicht als EU in ihren damaligen oder heutigen Grenzen verstanden habe, sondern stets als "vom Atlantik bis zum Ural" reichendes Ganzes. Tief verankert sei der Aufruf geblieben, "Europa eine Seele zu geben": "Der Papst hat versucht, viele in Europa zu ermutigen, sich des christlichen Erbes nicht zu entledigen oder gar zu schämen."
Impulsgeber für Bewährungszeiten
Unbestreitbar habe Johannes Paul II. Europa herausragend mitgestaltet, so Kapellari mit einem Verweis auf Michail Gorbatschow: Die Wende in Osteuropa sei maßgeblich dem Papst aus Polen mitzuverdanken, hatte der ehemalige Sowjetpräsident wiederholt erklärt. Freilich sei das Gewordene immer in Gefahr und auch aktuell erneut von mehreren Seiten aufs Spiel gesetzt, stellte der emeritierte Grazer Bischof fest: Menschliches Zusammenleben sei "dauernde Bewährungszeit" mit Höhen, Tiefen und Depressionen, "dazwischen braucht man solche zukunftsweisende Impulse, von denen der Papst viel gesetzt hat."
Impulse und "erfrischende Lebenszeichen" für Europa bringe auch der jetzige Papst Franziskus, wenngleich der Pontifex aus Argentinien den Kontinent bisher erst bei wenigen Gelegenheiten - vor allem in Straßburg - direkt angesprochen habe. Franziskus sei "ein Unruhestifter im besten Sinn des Wortes", schaffe eine "Gegenkraft gegen die Versuchung, sich bequem einzurichten", so Kapellari, und weiter: "Die bewegte Geschichte geht weiter und Europa soll sich nicht aufgeben - auch die Kirche in Europa nicht. Das heißt, man darf sich nicht auf einem Polster ausruhen, sondern muss die Herausforderungen annehmen."
Spannungen seien unter Johannes Paul II. vorprogrammiert gewesen u.a. durch seinen Einsatz für Lebensschutz, beruhend auf der "Grundforderung an jeden Christen, Freund des Lebens zu sein", so Kapellari. Dieses Anliegen sei weiter aktuell, verwies der Bischof auf die legalen Spätabtreibungen, die im allgemeinen Denken und Fühlen verdrängt würden, "womit sich ein bewusster Zeitgenosse, ein bewusster Christ, ein bewusster Papst aber nicht abfinden kann".