"Dialog, Begegnung und mutig Zeugnis geben"
Er wolle die Freude am Glauben stärken, Interesse an den Menschen unabhängig ihrer religiösen Verfassung vorleben und mit Feingefühl zu den "wesentlichen Fragen" kommen: Das hat Hermann Glettler am vergangenen Mittwoch im Innsbruck, direkt im Anschluss an die Pressekonferenz zu seiner Bischofsernennung, im Interview mit katholisch.at dargelegt. Der "Info-Dienst" dokumentiert das Interview im Folgenden im Wortlaut:
Katholisch.at: Herr Bischof, wie fällt Ihr Blick auf die heutige Lebensrealität aus? Erzbischof Lackner hat es bei seiner Antritts-Pressekonferenz in Salzburg so formuliert, dass die Menschen "auch ohne der Kirche gut leben können". Können sie auch ohne Gott gut leben?
Glettler: Diese Frage kann man für andere schwer beantworten, denn die Gefahr dabei ist immer, dass man bevormundet und jemandem, der ohne religiöses Bekenntnis ist oder keinen ausgewiesenen Glauben hat, quasi attestiert, ihm fehle etwas. Das ist eigentlich verletzend. Wir müssen einfach damit leben und akzeptieren, dass es Menschen gibt, die nach ihrer eigenen Aussage auch ohne expliziten Glauben gut leben. Was wir als Schatz des Evangeliums einbringen können - das heißt, in der Person Jesus von Nazaret jemanden zu haben, der tiefen Frieden des Herzens schenkt, der Versöhnung gelebt hat, der dem Todbringenden die Kraft genommen hat, was etwas unglaublich Entlastendes ist - das muss jemand auch persönlich erfahren.
Statt bloß zu behaupten, dem anderen fehle etwas - denn auch die Bezeichnung "ohne religiöses Bekenntnis" ist ja bereits eine Defizit-Punzierung - brauchen wir mehr Feingefühl gegenüber dieser großen Gruppe von skeptischen, agnostischen oder atheistischen Zeitgenossen.
Wir müssen überlegen, wie wir Gott hier die Antwort geben, wie wir selbst für diese Menschen zur Frage werden. Gelingt das authentisch, lebensbejahend und vielleicht auch kritisch, hat das vielleicht zur Folge, dass da jemand nach unserem Glauben nachzufragen beginnt.
Katholisch.at: Welche Akzente möchten Sie als Bischof konkret setzen, damit diese Fragen kommen?
Glettler: Zuerst möchte ich alle, die in der Kirche ihren Dienst tun, Gottesdienste feiern oder die verschiedensten Initiativen leiten, ermutigen, dass sie diesen Dienst mit Freude tun. Die Freude ist immer das Faszinierendste, da sie auch andere ansteckt. Freude ist ein unheimliches Geheimnis von Lebenskraft, sie verbindet, löst und entkrampft. Es ist eben "Evangelii gaudium", die Freude des Evangeliums. Der Papst sagt so eindringlich: "Wir lassen uns die Freude nicht nehmen."
Das ist eine "Trotzdem-Freude", Freude trotz Belastungen, trotz Rückgang bei Kirchenbesuchen. Wir dürfen uns von den Zahlen nicht terrorisieren lassen.
Diese von Gott geschenkte, tief eingewurzelte Freude ist etwas Wunderbares, das werden Leute sehen, die ab und zu mit uns in Kontakt kommen und in die Kirche hineinstolpern.
Das Interview im O-Ton
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Es hängt auch davon ab, wie wir mit den Kunstschätzen umgehen, den alten und neuen. Wenn es so ist, dass man diese erschließt, dass man damit auch etwas anzeigt, dann glaube ich, kommen die Leute auch. Wichtig ist, dass man sich einmischt in das ganz normale, alltägliche Leben, in die verschiedenen Orte wo es Dialoge gibt. Irgendwie kommt man dann auf die Fragen: Was ist das Wesentliche, was trägt? Es gibt Initiativen, wie etwa den "Alphakurs", der aus der anglikanischen Kirche stammt und versucht, die Balance zwischen Gastfreundschaft, Offenheit, wirklichem Hören und Freundschaft aufzubauen und auf der anderen Seite die christliche Botschaft auch sehr explizit und deutlich zu zeigen.
Vor allem aber geht es auch darum, was der Papst uns so beschwörend sagt: "Bitte Dialog, Dialog, Dialog!" Das ist es.
Aber es darf eben nicht eine Zwangsveranstaltung sein, sondern es muss aus dem Herzen heraus kommen. Wenn man Interesse hat an den Menschen und an dem, was sie bewegt, dann kommt man auch zu den wesentlichen Fragen.
Katholisch.at: Im Blick auf die aktuelle gesellschaftliche Debatte kann man auch sagen, dass es zu einer Rückkehr der Religion kommt - Stichwort Islam. Wie soll sich die Kirche in der heute so aufgeladenen Islam-Debatte positionieren?
Glettler: Eine schwierige Frage. Zuerst möchte ich meinen ganz positiven Zugang schildern. Ich war mit meinem Vater und einer kleinen Gruppe in Israel auf Wallfahrt. Da sind wir in Kanaan etwas zu spät gekommen und die Kirche war bereits geschlossen. Wir sind dann in die Moschee gegenüber hineingegangen, die aufgrund des zeitgleichen Ramadan-Endes gerade festlich geschmückt war und haben uns zum Gebet eingefunden. Zuerst war da ein großes Fragezeichen, da ich am Sakko mein kleines Kreuz trug. Nach dem Getuschel kam der Imam zu uns und fragte, was wir hier wollten. Ich sagte: "Mit Ihnen beten, wenn das hier möglich ist." Er sagte: "Ja, selbstverständlich." Er hat uns dann begrüßt durchs Mikrophon. Ich bete natürlich zu Christus. Mein Vater hat mich gefragt: "Du, Hermann, was beten wir denn jetzt?" Ich: "Sei ganz still - du betest zu Jesus. Er ist unser Bruder und Gott, wir schließen uns hier nicht dem großen Gebet an. Aber wir sind hier auch Betende - wir gehören doch zusammen." Am Ende des Gebets lud uns der Imam zu sich ein. Er war gleich alt wie mein Vater, hatte gleich viele Kinder und auch ähnliche Sorgen. Es war eine wunderbare Begegnung. Für meinen Vater war es das erste Mal, dass er so direkt mit einem Muslim in Kontakt gekommen ist.
Durch die Begegnung findet man zusammen. Ich habe auch in meinem Pfarrhof einen Syrer aufnehmen können - einen sehr tiefgläubigen Muslim, der nun zwei Jahre neben mir gewohnt hat. Ich hab ihm gesagt: "Du musst auch für mich mitbeten. Denn manchmal sind meine Gebete zu schwach." Er weiß, ich vermische da nichts: Unser Bekenntnis deckt sich in dem kleinen Aspekt, indem wir an einen Gott glauben. Aber: Der, der uns Gott erschlossen hat in seiner ganzen Fülle, das ist Jesus Christus, der Bruder aller Menschen und Sohn Gottes und Gott. Das ist eine deutliche Differenz, die wir nicht wegwischen dürfen im interreligiösen Dialog.
Es braucht die Profile der Glaubensüberzeugung, aber zugleich tiefes menschliches Entgegenkommen und Verbundenheit. Das wäre die Basis.
Katholisch.at: Wie steht es um die Begegnungen im Alltag...?
Glettler: Das wäre die zweite große Schiene: der Alltagsdialog durch das Zusammenleben, beginnend schon mit dem Kindergarten, mit dem Krankenhaus, in der Siedlung und so weiter. Da spielen nicht die großen komplexen theologischen Fragen eine Rolle, sondern wie Menschen miteinander umgehen - also hinsichtlich kultureller Differenzen etwa. Da sollte man die Religionsdebatte nicht zu sehr ins Spiel bringen.
Im Fußballjargon würden wir sagen: Wir müssen den Ball flach halten und lernen, als Menschen unterschiedlicher Prägung miteinander umzugehen.
In meiner Rolle in Graz habe ich auch die Chance gehabt, mit Imamen unterschiedlicher Moscheevereine in Kontakt zu kommen. Da spürt man dann auch, welche Gemeinden oder Imame die westliche Kultur, unsere demokratische Grundverfassung und unsere Lebensweise akzeptieren, und wo es andererseits einfach Reibungspunkte gibt - oder auch, wo ein Islam vertreten wird, den ich eigentlich nicht unterstützen möchte. Wir müssen mit grundsätzlichem Wohlwollen, aber auch Klugheit vorgehen, denn Islam ist nicht Islam. Es ist ein facettenreiches Phänomen. Vor allem den politisierten Islam, der vor Gewalt nicht zurückschreckt, den will ich nicht, den wahrscheinlich niemand in Europa und auf der Welt will.
Ich bitte alle in den muslimischen Gemeinden und den übergreifenden Strukturen, dass sie selbst beitragen zu einer Klärung, was für sie wirklich zählt.
Mein Grundtenor ist: Dialog so weit wie möglich. Begegnung ist ein ganz großes Geschenk, davon sollte man sich nie abbringen lassen, aber mutig und selbstbewusst unser christliches Zeugnis auch geben. Feindschaft, Aggression oder sich so ekelig aufzuführen, dass jemand ohnehin lieber das Land verlässt, das geht nicht. Aber es geht auch nicht, sich quasi etwas diktieren zu lassen, so dass man sagt: Das möchte ich nicht wählen.
Wir sind freie Menschen in einer freien Gesellschaft, und haben auch die Chance, Religion frei zu wählen.
Unter den vielen, die durch die Flüchtlingsströme gekommen sind, sind auch jene, die nach der christlichen Taufe fragen. Sehr ernsthaft. Diese Menschen müssen wir begleiten. Sie haben oft auch schon in ihren Herkunftsländern einiges an Nachstellungen und Schwierigkeiten erleben müssen, bloß deshalb, da sie Interesse gezeigt haben am Christentum. Die zu begleiten, zu unterscheiden wo ein Weg echt ist, und dann zu taufen, das ist auch ein Lernfeld. Jemand kann bei uns seinen Glauben frei ausüben - das muss man unterstützen und auch die Möglichkeit dafür schaffen - eben aber auch die Religion frei wählen oder ablegen.
Katholisch.at: Welche Impulse in diesem Pontifikat von Papst Franziskus waren für sie überraschend, welche möchten sie als Bischof mitnehmen und umsetzen?
Glettler: Überraschend ist für mich, dass er sprudelt wie eine Quelle - und man spürt das, dass durch sein Leben und durch die Nähe zu den Armen, die er immer gelebt hat jetzt etwas hervorbricht. Sein Wort hat immer eine Frische, weil es nicht Theorie ist. Dieses lebendige, frische Hineinhören in die Herzen der Menschen ist ein riesengroßes Geschenk. Auch die Gesten und Symbolhandlungen, die er setzt. Wenn es aber die allein wären, dann wäre es sehr schwach, dann wäre es fast Show. Das sehe ich aber nicht so.
Papst Franziskus ist ein kritisches Gewissen für die Weltöffentlichkeit, eine unglaublich einende Figur.
Ich als frisch ernannter Bischof möchte weiterhin von ihm lernen. Ich hoffe, dass wir auch als Diözese Innsbruck noch ganz entwickeln, von ihm zu lernen.
Katholisch.at: Der Papst will auch die Synodalität und Eigenverantwortung des Bischofs in der Kirche stärken. Was möchten Sie auf diesem Weg tun?
Glettler: Synodalität bedeutet, einen Weg gemeinsam zu gehen. Das erlebe ich schon in allem, was ich hier von Seiten Diözese erfahre: Dass man sich nicht spalten lässt in Kleriker und Laien, Konservative und Liberale, sondern dass man ringt um einen gemeinsamen Weg.
Diese Synodalität in der Kirche, das gemeinsame Gehen, Unterscheiden, Fragenstellen, Begleiten und in die Tat Umsetzen, sollte auch Menschen mit einbeziehen, die mit der Weggemeinschaft der Kirche kaum zu tun haben.
Schließlich wir sind doch auch in einer Weggemeinschaft mit der Gesellschaft, mit der Menschheit insgesamt. In "Evangelii gaudium" gibt es dieses wunderbare Bild der bunten Karawane, die da dahinzieht und wir mittendrin. Manchmal formt sich diese bunte Karawane auch zu einer freien Prozession, aber das hat man nicht in der Hand.
Ich möchte fragen, möglichst viele Menschen in der Diözese dafür fit machen, dass sie ihre Verantwortung wahrnehmen, dass sie auch dem Bischof helfen, sein Amt wahrzunehmen, auch kritisch rückfragen wenn es notwendig ist. Dass wir in diesem gemeinsamen und im Körper der Kirche differenzierten von "Mit und Gegenüber" [von dem Glettler bei seinem Amtsantritt sprach, Anm.] unterwegs sind. Die sakramentale Gestalt der Kirche zeigt, dass es auch dieses geweihte Amt braucht, um deutlich zu machen, dass Jesus der Herr es ist, der uns ruft. Da steht der, der von Amts wegen her verkündet, von Amts wegen die Eucharistie feiert, auch unter diesem Anspruch. Er ist mit seiner ganzen Existenz dazu gerufen, auch dieses Gegenüber von Jesus zu seinem Volk und zur Gemeinde hin darzustellen.
Katholisch.at: Was möchten Sie als Person in die Bischofskonferenz einbringen?
Glettler: Da habe ich noch kein konkretes Programm. Ich werde mich zunächst ganz einfach hörend hineinsetzen. Ich bin überwältigt, dass ich auch im Kreis dieser so wunderbaren Bischöfe, die wir jetzt in Österreich haben, mit dabei sein darf.
Katholisch.at: Sie haben zur Vielfalt einen besonderen Zugang - auch aufgrund ihrer internationalen Erfahrung. Was zeichnet die katholische Kirche in Österreich aus? Was ist spezifisch?
Glettler: Eine gewisse Bodenständigkeit, Natürlichkeit und Herzlichkeit. Das höre ich zumindest von Kollegen aus Deutschland. Eine Einfachheit im Umgang. Das ist das Positive. Was uns jedoch "weggerutscht" ist: Das Wort Gottes braucht einen ganz neuen Stellenwert. Wir sollen uns da nicht täuschen: So wichtig Volkskirche ist, ist sie in vielen Fällen doch eher ein Phantom. Ich möchte Volkskirche nicht kleinreden, freue mich, wenn sehr viele aus der Bevölkerung einen bewussten Weg des Christseins gehen, aber man darf sich nicht täuschen lassen von äußeren Bildern, denn diese können auch leicht eine Fassade sein.
Es braucht beides - die Weite, dass möglichst viele mitgehen können, und zugleich auch einigem, die sagen: Ich leg in die Schale etwas mehr von mir hinein, damit andere auch daraus gespeist werden bzw. dadurch Inspiration bekommen.
Katholisch.at: Sie haben ihr Amt mit einem Gebet begonnen. Haben sie ein Lieblingsgebet?
Glettler: Ja, die Pfingstsequenz. "Komm herab, o Heiliger Geist, der die finstre Nacht zerreißt. Strahle Licht in diese Welt..."