Staatsakt: Bitte um Vergebung
Im Umgang mit Missbrauch kann es nach den Worten von Kardinal Christoph Schönborn nur den Weg der Wahrheit geben. Viel zu lange sei verharmlost, vertuscht, verleugnet und weggeschaut worden, betonte der Wiener Erzbischof beim Staatsakt für Missbrauchsopfer am Donnerstagabend im Parlament. "Ich bitte um Vergebung", so Schönborn bei seiner Rede wörtlich in Richtung der Missbrauchs-Betroffenen, von denen 250 bei der Veranstaltung zugegen waren, neben den Spitzen von Staat und Kirche. Der Staatsakt sei ein Signal dafür, dass das schreckliche Geschehen der Vergangenheit angehöre, so die Überzeugung des Kardinals, der sich vor den Opfern und ihrem erfahrenen Leid verbeugte.
Als "Vertreter jener Einrichtung, die für viele von Ihnen mit schlimmsten Erinnerungen verbunden ist", hatte Schönborn seine an die Missbrauchsopfer gerichtete Ansprache begonnen. "Was in kirchlichen Einrichtungen geschehen ist, was Priester und auch Nonnen Jugendlichen angetan haben, ich konnte mir das nicht vorstellen." Als dann zum ersten Mal lau und deutlich vom kirchlichen Missbrauch die Rede war, habe er es für eine "böse Erfindung der Medien" gehalten - "bis ich sehr bald selbst erfahren habe, durch Gespräche und Begegnungen: Es ist die bittere Wahrheit". (Ansprache im Wortlaut)
"Nur eines hilft: die Wahrheit": Diese Überzeugung, zu der er in der Folge gekommen sei, treffe auch dann zu, wenn es schwer falle, hinzuschauen, sagte der Wiener Erzbischof. "Wir haben in der Kirche wie auch im Staat zu lange weggeschaut. Wir haben vertuscht, wir haben wenn Missbrauch bekannt geworden ist, Leute versetzt und nicht abgesetzt", so Schönborn, der dafür spontanen Applaus aus den Reihen der Betroffenen bekam. Und weiter: "Für diese Schuld der Kirche stehe ich heute vor Ihnen und sage: Ich bitte um Vergebung."
Bures: "Eine Schande für unser Land"
"Was Ihnen widerfahren ist, ist eine Schande für unser Land. Ich stehe hier und schäme mich dafür", sagte Nationalratspräsidentin Doris Bures in Richtung der Betroffenen, für deren Anwesenheit im Saal sie dankte. Mit dem von ihr initiierten Staatsakt im Parlament solle kein Schlussstrich unter die Aufarbeitung gezogen werden, vielmehr wollten Staat und Kirche "gemeinsam das Unrecht benennen, anerkennen und ihre Schuld eingestehen".
Statt Fürsorge, Liebe, Schutz und Geborgenheit hätten Kinder oft "Gewalt und Missbrauch, Demütigung, Gleichgültigkeit, Kälte und Einsamkeit" erfahren, betonte Bures. Die Kontrolle habe versagt, zumal das kollektive Wegschauen System gehabt habe. Vielen Kinder hätten auf diese Weise tiefste körperliche und seelische Wunden erhalten, seien ihrer Würde und die Chancen auf unbeschwertes, selbstbestimmtes Leben beraubt worden.
Die "hohe Mauer" des Leugnens, Verdrängens und Vergessens habe erst in den vergangenen Jahren Risse bekommen. Bures hob hier die Arbeit der Kommissionen von Kirche und Staat hervor, die sich seither ernsthaft um die schwierige Aufarbeitung des Geschehenen bemühen würden. Diese Arbeit verdiene Anerkennung. Forschungsarbeiten seien ins Laufen gekommen, auch über die Täter in Gewaltsystemen. "Denn im Sinne der Prävention müssen wir wissen, warum aus betreuenden Menschen sadistische Unmenschen wurden." Nicht außer Acht zu lassen sei dabei die im Nachkriegsösterreich fortwirkende NS-Ideologie. Sie habe "den Wert des menschlichen Lebens nachhaltig relativiert", so die Nationalratspräsidentin.
Zu verhindern gelte es, dass Missbrauch und Gewalt "wie einst still geduldet, systematisch vertuscht und kollektiv geleugnet werden", sagte Bures. Das Versagen der Vergangenheit dürfe sich niemals wiederholen. Habe sich auch vieles zum Besseren verändert, müsse man stets wachsam sein zumal die Würde von Menschen bei Abhängigkeiten besonders verletzbar sein. Schließlich seien auch heute noch viele Menschen auf Hilfe und Obhut in Heimen angewiesen, wie etwa Behinderte, Kranke und Pflegebedürftige.
Kern: Entschuldigung für "finsterstes Kapitel"
Im Namen des Staates sprach Bundeskanzler Christian Kern die Entschuldigung bei den Betroffenen aus für die Geschehnisse, die eines der "finstersten Kapitel unserer Geschichte" darstellten. Durch den Missbrauch und die Misshandlung, jedoch auch durch das spätere "systematische Ignorieren" sei für viele ein Mehrfachleid entstanden. Mit dem Staatsakt solle Anerkennung und Achtung gegenüber den Betroffenen signalisiert werden.
Kern rief dazu auf, den Betroffenen zuzuhören. Obwohl für sie das Erzählen des Vergangenen und das Benennen des Leides schmerzhaft sei, helfe es, die Erinnerung weiterzutragen. Man müsse dort hinleuchten, wo Unrecht geschehe, denn: "In Österreich müssen Menschenrechte und Würde im Mittelpunkt stehen", so der Kanzler.
Vizekanzler Reinhold Mitterlehner rief dazu auf, die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Es gebe durchaus noch offene Fragen, so der VP-Chef, der hier die Regelung der Pensionen sowie der Anerkennung nannte. Zu hinterfragen sei stets auch, ob der Prävention genug Platz gewährt werde, wie es um die Qualifikation von Betreuern stehe, um die Gruppengrößen, die Kontrolle oder u den Kontakt mit den Behörden. Sorge zu tragen gelte es dafür, "dass Kinder in Obhut von Betreuungseinrichtungen behüteter aufwachsen", betonte der Vizekanzler. Dazu gehöre vor allem, Kindern auch in öffentlichen Einrichtungen ernst zu nehmen und ihren Erzählungen Vertrauen zu schenken.
Berichte von Betroffenen
Mit dem Staatsakt im Historischen Sitzungssaal des Parlaments unter dem Titel "Geste der Verantwortung" wollten die Kirche und das offizielle Österreich das Unrecht anerkennen, das Heimkinder in den vergangenen Jahrzehnten in staatlichen und kirchlichen Einrichtungen erlitten haben. Zentraler Programmpunkt waren Berichte von Betroffenen, die stellvertretend für das Schicksal tausender Kinder in staatlichen und kirchlichen Heimen standen. Vorgetragen wurden sie von den Schauspielern Karl Markovics, Regina Fritsch, Wolfgang Böck, Florian Teichtmeister und Miriam Fussenegger.
TIPPS
Interview Waltraud Klasnic |
"Es kann und darf keinen Schlussstrich geben" Waltraud Klasnic zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der Kirche |
Infos und Kontaktdaten
Ombudsstellen.at