
Das Los unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge
Mostafa Noori ist letztes Jahr 18 geworden. Die meisten jungen Menschen verbinden den Überstieg ins Erwachsenenalter mit mehr Rechten und Freiheiten, mit Autofahren und dem Abschluss der Schulausbildung. Mostafa brachte sein 18. Geburtstag nur noch mehr Unsicherheit und Not. Der junge Afghane ist mit 16 nach Österreich geflohen und in der Jugendwohngemeinschaft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (umF) Noemi des Don Bosco Flüchtlingswerks in Wien untergekommen. Sein Status als umF hatte ihm, verglichen mit volljährigen Asylwerbern, eine umfassendere Betreuung gesichert. Mit seinem 18. Geburtstag endete die umF-Versorgung und Mostafa musste von einem Tag auf den anderen die Jugendwohngemeinschaft verlassen. So wie dem jungen Afghanen geht es tausenden Flüchtlingen in Österreich.
Etwa 2.600 umFs sind laut Innenministerium zurzeit in Österreich registriert. Nicht einmal die Hälfte davon - rund 1.200 Personen - lebt in auf ihre Bedürfnisse abgestimmten Betreuungseinrichtungen. Der Rest ist übergangsweise in nicht-jugendgerechten Erstaufnahmezentren untergebracht, so Flüchtlingswerk-Geschäftsführerin Eva Kern im Gespräch mit "Kathpress" am Donnerstag. Neue Heime zu eröffnen sei schwierig, oft fehle es an geeigneten Immobilien und am Geld für die Adaption der Gebäude.
In den beiden Wohnheimen des Flüchtlingswerks, im Haus Abraham im 23. Bezirk und im Haus Noemi im 4. Wiener Bezirk, leben zurzeit insgesamt 26 männliche umFs. Die jungen Burschen sind zwischen 14 und 18 Jahre alt und kommen aus Afghanistan, Somalia, Syrien und dem Irak. Gemeinsam ist ihnen die oft gefährliche, Wochen andauernde Flucht aus ihren Heimatländern. Mostafas Flucht begann 2011 in seiner Heimatstadt Herat im Westen von Afghanistan. Schutzgelderpressungen und die Entführung des Vaters durch die Taliban hatten die Flucht der Familie nötig gemacht.
Von Herat aus floh er mit Mutter und Geschwistern in den Iran, von dort aus weiter in die Türkei. In Istanbul habe seine Mutter entschieden, in den Iran zurückzukehren und bei Verwandten Unterschlupf zu suchen. Zu beschwerlich war die Reise, die sie oft tagelang ohne Essen und zu Fuß über staubige Landstraßen führte. Bis heute leben sie illegal in Maschad. Mittlerweile hätten die Taliban auch seinen Vater wieder freigelassen. "Ich bin erleichtert, dass die ganze Familie jetzt im Iran zusammen ist, auch wenn sie dort illegal sind, ist es sicherer als in Afghanistan." Skype ermöglicht ihm, den Kontakt zu halten.
Im Iran zu bleiben, war für Mostafa nie eine Option, er wollte nach Europa. Von der Türkei aus gelang ihm die Überfahrt in einem kleinen Schlauchboot nach Griechenland. Die gefährliche Überfahrt beschere ihm auch heute noch Alpträume. Nach seiner Ankunft in Österreich vermittelte ihn der Fonds Soziales Wien (FSW) in das Haus Noemi. An seine Zeit in dem Jugendwohnheim denke er gern zurück; an die Sprachkurse, die gute Betreuung und den Zusammenhalt unter den Burschen.
24-Stunden-Betreuung
Alleine werden die jungen Flüchtlinge in den Wohnheimen nie gelassen - mindestens einer der 15 sozial-pädagogischen Betreuerinnen ist für die jungen Männer da - zu jeder Tages- oder Nachtzeit. Probleme gebe es aber kaum, zumindest nicht mehr als in anderen Jugendwohnheimen, erzählt die pädagogische Leiterin des Hauses Abraham, Beatrix Peichl: "Im Grunde sind das ganz normale Jugendliche, mit Bedürfnissen, wie sie andere Jugendliche auch haben."
Grundpfeiler des Betreuungsprogramms ist neben der Organisation einer geregelten Tagesstrukturierung auch die Bildungsarbeit. Alle Jugendlichen besuchen eine Bildungsmaßnahme wie beispielsweise Deutschkurse, eine Basisbildung oder Hauptschulabschlusskurse, eine Lehre oder auch eine weiterführende Schule. Einige weisen aufgrund ihrer Vergangenheit auch große Lücken in ihrer Bildungslaufbahn auf, so Peichl. Mit dem Bildungs-Kontingent, das Teil der umF-Versorgung ist, sei man oft schnell am Ende.
Was umFs an Geld- und Sachzuwendungen tatsächlich zusteht, stehe im krassen Kontrast zur oft kritisierten vermeintlichen "Luxus-Behandlung" von Flüchtlingen. Fünf Euro Essensgeld pro Tag, 40 Euro Taschengeld pro Monat, 150 Euro im Jahr für Kleidung, maximal 200 Euro für den Schulbesuch und die Krankenversicherung bekomme jeder umF von der Stadt Wien, rechnet Peichl vor. Ohne zusätzliche Geld- und Sachspenden sei das tägliche Leben für die jungen Burschen kaum bestreitbar. Die "Wiener Tafel" schicke immer wieder Lebensmittel, Privatpersonen spenden Kleidung und einmal pro Woche wird in den beiden Häusern gemeinsam gekocht.
62 bis 77 Euro Tagsatz bekommt das Flüchtlingswerk pro umF. Im Vergleich dazu: Die Kinder- und Jugendhilfe bekommt für jedes österreichische Kind in ihrer Obhut einen Tagsatz von mindestens 120 Euro. "Wie hier aus Flüchtlingen halbe Kinder und Jugendliche gemacht werden, ist nicht zu akzeptieren", so Kern. Von den Tagsätzen bezahlt das Werk Miete, Betriebskosten, Personalkosten und was sonst noch anfällt. Ohne Spenden und Eigenmittel im fünfstelligen Bereich könnten die Heime nicht aufrecht erhalten werden.
Mit dem 18. Geburtstag müssen die jungen Flüchtlinge die Jugendwohnheime verlassen. Um den Umstieg in eine ganz andere Betreuungsform zu erleichtern, betreibt das Flüchtlingswerk Wohngemeinschaften und ein zusätzliches Beratungsangebot für die Zielgruppe 18+, das Bildungsprojekt Amos und das Freizeitprojekt Tobias.
Mostafa hat das am eigenen Leib erlebt. Im Moment lebt er in einer Wohngemeinschaft mit zwei Österreichern in Wien. Vermittelt hat ihm die Wohnung seine Patenfamilie. Seit September 2014 besucht er die Handelsakademie. Einen Asylbescheid habe er bis jetzt noch nicht, eine Entscheidung ist aber bis 1. Juli zu erwarten. Von der Zukunft wünscht er sich, seine Ausbildung abzuschließen, einen Job zu finden und eine Familie zu gründen - wie viele andere junge Erwachsene eben auch.